1633
Der Beginn der Passionsspiele
Am Anfang steht das Gelübde der Oberammergauer Bevölkerung, alle zehn Jahre die Passionsspiele aufzuführen.
Pfarrer Daisenberger schreibt in seiner Ortschronik: „Die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts vergingen für Oberammergau in glücklicher Ruhe. Aber nun kam die überaus bedrängnisvolle Zeit des dreißigjährigen Krieges, der vom Jahre 1618 bis zum Jahre 1648 geführt wurde, und dessen Gedächtnis unter dem Namen des Schwedenkriegs noch im Volke fortlebt. Schon im Jahre 1631 rissen sowohl in Schwaben als auch in Bayern ansteckende Krankheiten ein. Das hiesige Dorf wurde durch fleißiges Wachehalten vor der Ansteckung bewahrt bis zum Kirchweihfeste 1632. Da brachte ein Mann von hier namens Kaspar Schisler die Pest ins Dorf. In dem großen Leidwesen, welches die furchtbare Krankheit über die Gemeinde gebracht hatte, sind die Vorgesetzten der Gemeinde zusammengetreten, und haben das Verlöbnis gemacht, die Passionstragödie alle zehn Jahre zu halten, und von dieser Zeit an ist kein einziger Mensch mehr gestorben, obwohl noch etliche die Pestzeichen an sich hatten.“
1634
1. Spieljahr
Am Pfingstfest führten die Oberammergauer auf einer Bühne, die sie auf dem Friedhof über den frischen Gräbern der Pesttoten aufschlugen, erstmals das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ auf.
Pfarrer Joseph A. Daisenberger schreibt in seiner Chronik: „Wahrscheinlich ist schon vor dem Jahre 1600 die Leidensgeschichte des Herrn auch zu Oberammergau öfters, etwa in der Fastenzeit, als ein Akt religiöser Erbauung vorgestellt worden. Mir wenigstens scheint es, dass das Gelübde der Gemeinde vom Jahre 1633 nicht einen neuen, früher in der Gemeinde unbekannten Gebrauch einführen, sondern vielmehr einen uralten Brauch durch das bestimmte Versprechen regelmäßiger Übung für alle Zeiten festhalten wollte.“
Belege für diese Annahme sind nicht vorhanden. Für die Jahre 1600–1650 sind im bayerisch-österreichischen Raum ca. 40 Passionsspielorte belegt, über 250 für die Zeit von 1650 bis 1800.
1664
4. Spieljahr
1662 entsteht für das Passionsspiel 1664, durch den Schulmeister Georg Kaiser, eine Abschrift des ältesten erhaltenen Oberammergauer Passions-Textes. 1880 glückte die Entdeckung, dass dieser Text hauptsächlich zwei noch älteren Spielen entnommen ist, die schon vor 1634 miteinander verbunden wurden.
Ein Großteil der 4902 Verse entstammen zum einen einem mittelalterlichen Passionsspiel aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, dessen Handschrift im Augsburger Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra gefunden wurde, und zum anderen der reformatorisch gestalteten, 1566 verbreiteten Passionstragödie „Die Passion und Auferstehung Christi“ des Augsburger Meistersingers Sebastian Wild. Es ist anzunehmen, dass dem Verfasser des ersten Oberammergauer Spiels – wahrscheinlich ein Ettaler Mönch - noch ein dritter Text vorlag. Eine eigenständige Dichtung war diese Zusammenstellung von Textausschnitten aus anderen Schriften noch nicht.
Dieser Urtext wurde für das Jahr 1664 neu aufbereitet und „wiederumben renoviert“. Dieses „wiederum“ deutet darauf hin, dass dieser Text schon in den vorausgegangenen Spieljahren verwendet wurde und Veränderungen vorgenommen wurden.
1674
5. Spieljahr
Vermutlich aus der Hand des Kaplans Michael Eyrl, sind uns folgende Sätze erhalten: „Der Passion ist gar glücklich abgegangen. (Es) solln hinfür für die zusehenden Personen, die hie zugegen stehn, Sitz gemacht werden.“ Dies weist darauf hin, dass sich die Anzahl der Zuschauer gesteigert hat und der Dienst am Gast beginnt.
Eyrl erweitert den Text von 1662 mit Passagen aus dem Weilheimer Passionsspiel, das der Stadtpfarrer Johannes Älbl im Jahr 1600 verfasste.
Die Gemeinde beschließt den Wechsel ins volle Zehnerjahr.
Michael Eyrl ist der erste namentlich genannte Leiter der Passionsspiele. Er wurde in Oberammergau als Sohn des Ettaler Richters geboren. Nach seiner Priesterweihe wurde er für kurze Zeit Frühmesser in Oberammergau und ging 1677 als Pfarrer nach Mehring.
1680 - 1700
6. bis 8. Spieljahr
Im Jahr 1680 wird zum ersten Mal das Passionsspiel im vollen Zehnerjahr aufgeführt.
Die älteste erhaltene Gemeinderechnung aus dem Jahr 1690 benennt Ausgaben für das Passionsspiel in Höhe von „45 Gulden und 45 Kreuzer.“
Ein Bernhard Steinle wird laut einer Gemeinderechnung im Jahr 1700 für die Leitung der Passionsspiele bezahlt. Aus dieser Rechnung geht auch hervor, dass es eine musikalische Umrahmung der Passionsspiele gegeben hat, da man „den Herren Trompetern von Ettal“ 2 Gulden für ihre Mitwirkung bezahlt hat. Die Aufführung des Passionsspiels in diesem Jahr verursacht der Gemeinde Schulden in Höhe von 60 Gulden.
Die Gemeinderechnung weist aus:
- 12 fl. 30 kr. dem Bernhard Steinle, dass er die Passionstragödie gemustert und geführt.
- 19 fl. den Malern Würmseer und Faistenmantl für Malen und Farben.
- 10 fl. den Komödianten zu einem Trunk bezahlt.
- 2 fl. den Herren Trompetern von Ettal verehrt.
- 12 kr. für Pulver.
Die Bekleidung der Spielenden wurde von Kloster Rottenbuch entlehnt.
1710
9. Spieljahr
Benefiziat Thomas Ainhaus übernimmt 1710 die Spielleitung und überarbeitet die Texte. Ainhaus führte auch die Rechnungsbücher. Thomas Ainhaus wird in Oberammergau geboren und in Wien 1697 zum Priester geweiht. 1705 wird ihm eine Stelle als Kaplan in seiner Heimatgemeinde angetragen. Er ist Frühmesser und Leiter der Passionsspiele bis zu seinem Tod am 17. Juli 1723.
1720
10. Spieljahr
Der Ettaler Pater Karl Bader (1662-1731) überarbeitet den Text für das Spieljahr 1720. Erhaltene Teile des Textes dokumentieren eine barocke Kulissenbühne. Auch in diesem Passionsjahr übernimmt Thomas Ainhaus die Leitung des Spiels. Er vermeldet der Gemeinde einen Verlust von 73 Gulden und 37 Kreuzer.
1730
11. Spieljahr
Es findet für 1730 eine Bearbeitung durch den Rottenbucher Augustiner Anselm Manhart (1680-1752) statt, der die allegorischen Figuren Neid, Geiz, Tod und Sünde als Gegner Jesu einführt. Der Frühmessbenefiziat Max Anton Erlböck leitet erstmals das Spiel. Es gibt zwei Aufführungen und es entsteht ein Defizit von 84 Gulden in der Gemeindekasse.
1740
12. Spieljahr
Max Anton Erlböck leitet wiederum die Spiele. Es findet eine Textrevision durch den Rottenbucher Augustiner Clemens Prasser (1703-1770) statt. Erlböck wird am 15. Juli 1690 in Oberammergau geboren, studiert in Salzburg Jura und entschließt sich nach dem Tod seiner Geliebten Priester zu werden. 1723 zum Priester geweiht, wird ihm im selben Jahr das Benefizium in seiner Heimatgemeinde angetragen. Er ist 47 Jahre Frühmesser, bis zu seinem Tod am 7. August 1770.
1750
13. Spieljahr
Der Ettaler Benediktiner Pater Ferdinand Rosner, ein sprachgewaltiger Theatermann, schreibt ein neues Passionsspiel, die "Passio Nova“, religiös und künstlerisch durchgehend gestaltet in der Formensprache des geistlichen Barocktheaters. Siebenmal wird die Handlung durch musikalisch begleitete „Betrachtungen“ unterbrochen, in denen „Lebende Bilder“ mit Szenen aus dem Alten Testament gezeigt werden. Die Allegorien Luzifer, Neid, Geiz und Sünde werden in die Handlungen mit einbezogen. Jesus steht im Zentrum eines dramatischen Kampfes zwischen Gott und den Mächten der Hölle. Rosners Text findet in Bayern weite Verbreitung und lässt Oberammergau zum Vorbild für andere Spiele werden und wirkte damit stilbildend für die bayerischen Passionsspiele dieser Zeit.
Die Neuinszenierung verursacht hohe Kosten für die Gemeinde. Das Minus beläuft sich auf 88 Gulden, obwohl knapp 11.000 Zuschauer kommen.
Pater Ferdinand Rosner wird als Karl Joseph Ignatius Rosner in Wien geboren. 1726 legt er im Benediktinerkloster Ettal sein Ordensgelübde ab. Insgesamt zwölf Jahre lehrt er Rhetorik am fürstbischöflichen Lyzeum in Freising. Er verfasst neben zahlreichen Reden, lateinischen und deutschen Gedichten auch viele kleinere Theaterstücke. Rosner prägt mit seinen Werken das Schultheater seiner Zeit.
1760
14. Spieljahr
Erneut kommt das barocke Passionsspiel des Ettaler Paters Ferdinand Rosner zweimal zur Aufführung. Trotz 14.000 Besuchern entsteht ein Minus von rund 156 Gulden, dass durch die Gemeindekasse ausgeglichen wird.
1770
Das Passionsspiel entfällt
Am 31. März 1770 lässt Kurfürst Maximilian III. durch seinen Geistlichen Rat alle Passionsspiele verbieten. Zur Begründung führt er an, dass „das größte Geheimnis unserer heiligen Religion nun einmal nicht auf die Schaubühne gehört“. Oberammergau entsendet Deputierte nach München, die versuchen eine Ausnahmegenehmigung zu erlangen. Am 22. Mai 1770 wird das Ersuchen der Oberammergauer negativ beschieden. Die bis dahin von der Gemeinde getätigten Ausgaben in Höhe von knapp 156 Gulden müssen die Einwohner tragen.
1780
15. Spieljahr
Nachdem der neue Kurfürst Karl Theodor (seit 1778) weniger streng gegen die geistlichen Spiele vorgeht, bitten die Oberammergauer erneut um eine Ausnahme vom allgemeinen Verbot. Sie geben vor, dass das Spiel „von allen anstoßlichen Ungebührlichkeiten gereiniget sei". Der Ettaler Benediktiner P. Magnus Knipfelberger (1747-1825) hat eine Umarbeitung der Passion Rosners vorgenommen. Er beschränkt die Auftritte der Hölle auf musikalische Zwischenszenen, mildert allzu realistische Szenen, wie die Verzweiflung des Judas ab und nennt das Stück „Das Alte und Neue Testament“, um eine Erwähnung der Passionsthematik zu vermeiden. Oberammergau erhält ein alleiniges Privileg zur Aufführung von Passionsspielen.
Pater Magnus Knipfelberger, der als Johannes Knipfelberger am 4.9.1747 in Reuthe (Tirol) geboren wurde, trat 1764 in die Benediktinerabtei Ettal ein und wurde 1772 zum Priester geweiht. Er unterrichtete zunächst am Klosterseminar, ab 1788 als Gymnasiallehrer am Lyzeum in Freising, wo er 1791–94 Professor für Rhetorik und Leiter des Schultheaters war. Dann wieder Lehrer am Seminar in Ettal, nach Aufhebung des Klosters (1803) wird er Hilfspriester in Stetten bei Kaufbeuren. Er starb am 14.6.1825 in Schongau am Lech.
1790
16. Spieljahr
Zum wiederholten Male werden die Passionsspiele in Bayern verboten. Oberammergau aber wird sein Privileg von 1780 bestätigt. Erstmals gibt es einen Hinweis in einer Zeitung, erstmals Eintrittskarten. Es werden fünf Vorstellungen mit 11.000 Besuchern gespielt.
1800
17. Spieljahr
Oberammergau erhält erneut das Privileg, die Passion aufzuführen. Man nannte das Spiel nun „Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christ“. Der mit den Napoleonischen Kriegen verbundene Rückgang auf 3.000 Zuschauer hinterlässt ein Defizit von 205 Gulden in der Gemeindekasse. Am 12. Juli 1800 kommt es im Gebiet um Oberammergau zu Kämpfen zwischen den kaiserlichen Truppen und der französischen Armee.
Die Franzosen plündern im Ort. Wegen dieser Vorfälle wird das Passionsspiel in diesem Jahr nur fünfmal aufgeführt. Bereits geplante Aufführungen mussten abgesagt werden.
Viele Österreicher – welche Oberammergau besetzt hielten - befinden sich unter den Zuschauern. Am 26. Juni fand auf Befehl von General Grüne eine Sondervorstellung für österreichische Soldaten statt. Die Eingänge wurden von kaiserlichen Soldaten bewacht.
1801
18. Spieljahr
In diesem Jahr werden, um die Gemeindeschulden zu verringern, mit vier Aufführungen die Spiele von 1800 fortgesetzt. Am 11. September 1801 erklärte die Münchner Regierung das Privileg Oberammergaus für erloschen.
1810
Es findet keine Aufführung statt
Kurfürst Max IV. Joseph (König von 1806 - 1825) und sein Minister Maximilian Joseph Freiherr Graf von Montgelas erzwingen in der Säkularisation eine Unterordnung der Kirche unter die staatliche Gewalt. Das Fürstbistum Freising wird am 27. November 1802 aufgehoben und sein weltlicher Besitz verstaatlicht.
Maximilian Joseph Freiherr Graf von Montgelas
Das Bistum Freising wird 1803 nach München verlegt. Aus ideologischen Gründen ist kirchliches Brauchtum verboten. Dazu gehören Prozessionen, Ölbergandachten, Weihnachtskrippen, das Heilige Grab und sonstige Darstellungen von Glaubensinhalten. In diesem Zusammenhang erklärt der Minister auch das Oberammergauer Privileg für erloschen und hat für 1810 eine Aufführung der Spiele untersagt.
1811
19. Spieljahr - 5 Aufführungen
Das Passionsspielverbot wird 1811, nach der Vorlage eines von dem Ettaler Pater Dr. Othmar Weis (1769-1843) neugeschaffenen Textes aufgehoben.
Die größte Neuerung besteht im Übergang vom Vers zur Prosa. Dies ermöglicht eine freie, realistische Sprache und eine direkte Übernahme von Bibelworten. Die Allegorien verschwinden aus dem Spiel, die Szenenabfolge und die Lebenden Bilder werden jedoch fast vollständig von Rosner/Knipfelberger übernommen. Weis streicht viele mythologische und legendenhafte Elemente und legt größten Wert auf die Übereinstimmung mit den Evangelien. Er stellt den Chorauftritten lange Betrachtungen voran, die größtenteils einer Moralpredigt gleichen. Er gliedert die Musik in Rezitative, Arie und Chor.
Die Komposition der Musik wird durch den Oberammergauer Lehrer Rochus Dedler (1779-1822) umgesetzt. Diese Musik zu den Lebenden Bildern bestimmt bis heute den Charakter des Spieles wesentlich mit. Von dieser Musik ist nichts mehr vorhanden, es sei denn er hat einige Nummern in seiner Bearbeitung von 1815 übernommen.
Pater Othmar Weis, wird als Georg Weis am 21. April 1770 in Bayersoien geboren. 1795 tritt er in das Benediktinerkloster Ettal ein und nimmt den Namen Othmar an. Nach einem Studium an der Universität Ingolstadt wird Pater Othmar Weis Leiter der Ettaler Klosterschule für besonders begabte Schüler. Nach der Säkularisation und der damit verbundenen Auflösung des Klosters Ettal 1803 arbeitet Pater Othmar Weis weiter als Lehrer, u.a. in Oberau, wo der spätere Oberammergauer Pfarrer Joseph Alois Daisenberger zu seinen Schülern zählt. Später wird Pater Othmar Weis Pfarrer in Jesenwang, wo er am 26. Januar 1843 stirbt.
Rochus Dedler wurde am 15. Januar 1779 als Sohn des Bierwirts und Metzgers Johann Dedler und seiner Frau Barbara in Oberammergau geboren. Er wurde Singknabe im Kloster Rottenbuch, ging zu philosophischen Studien nach München, wollte ins Kloster eintreten, wovon ihm der Probst von Rottenbuch abriet. Er wurde zuerst Kammerschreiber des Prälaten, bis ihm seine Heimatgemeinde das Amt des Schulmeisters anbot. Verheiratet war er mit Maria Josepha Sepp aus Uffing. Er hatte mit ihr sechs Töchter und drei Söhne. 1821 befiel ihn eine Lungenkrankheit, an welcher er am 15. Oktober 1822 starb.
1815
20. Spieljahr – 11 Aufführungen
Die Neu- und Umgestaltung des Textes durch Weis und der Musik durch Dedler wird fortgesetzt. Das Spiel beginnt nun mit dem Einzug in Jerusalem. Weis schafft damit nicht nur eine eindrucksvolle Massenszene, sondern setzt damit einen starken Gegensatz zwischen dem begeisterten „Hosianna“ und dem „Ans Kreuz mit ihm“ im zweiten Teil der Aufführung. Darüber hinaus gelingt ihm eine psychologische Vertiefung, was sich vor allem bei den Monologen des Judas offenbart.
Am meisten ändert sich der Text für den Chor, denn Rochus Dedler schafft noch einmal eine neue Musik für das Passionsspiel.
Der Priester Nicolaus Unhoch (1762-1832) wird von der Gemeinde beauftragt, eine neue Bühne zu bauen. In sein Tagebuch schrieb er: „Ich entwarf den Plan, machte ein Model und fing im Oktobermonat an zu bauen.
Den ganzen Winter hindurch arbeiteten die Zimmerleute auf dem Frythof, die Schreiner im Gemeinestadel vor dem Dorf und die Maler beim Hansjörgenwirt in der oberen Stube. Diese Arbeit dauerte bis Pfingsten.“ Am Ende wurde er für diese Arbeit schlecht bezahlt und er schreibt in seinem Tagebuch: „Es haben mehrere Theaterkenner von München und Augsburg das Theater sehr gelobt, obschon die Ammergauer nicht sehr damit zufrieden waren.“
1820
21. Spieljahr – 10 Aufführungen
Pater Othmar Weis leitet ein letztes Mal das Passionsspiel. Zum letzten Mal wird das Passionsspiel auf dem Friedhof an der Pfarrkirche aufgeführt.
Mit diesem Jahr beginnt eine erstaunliche Popularität der Passionsspiele. Die Besucherzahlen verdoppeln sich im Gegensatz zu 1815 auf 19.000 Zuschauer. Zu dieser Zeit dauert die Anreise von München zwei Tage. Es sind Rechnungen vorhanden, für Inserate, die man in der „Münchner politischen Zeitung“ und in Augsburger Zeitungen schaltet.
Am 25. Juli sieht der Baurat Anton Baumgartner das Spiel und schreibt im „Bayrischen Nationalblatt“ seine Erlebnisse nieder. Dieser Bericht ist der erste bekannte Bericht eines Augenzeugen über das Passionsspiel. Er schreibt unter anderem: „Der Schauspieler, welcher Christum vorstellte, suchte seines Meisters Seelenruhe, Ernst und Bescheidenheit nachzuahmen“ und Judas sei „keine Karikatur, kein ganz verworfener Mensch gewesen. Die Rolle des wachthabenden Hauptmanns war ganz in militärischer Subordination gesprochen.“ (Bayrisches Nationalblatt 1820, 3.Jg. Nr. 32/33)
Mit dem Haar- und Barterlass nimmt man es offenbar noch nicht so ernst. Aus einer Quittung erfahren wir, dass 8 Perücken gekauft werden. Der Schneidermeister Schauer erhält für die „Anziehung und das Barocken gericht“ (das Richten der Perücken) 7 Gulden.
1830
22. Spieljahr – 11 Aufführungen
König Ludwig I. genehmigt das Spiel unter der Bedingung, dass die Bühne nicht mehr auf dem Friedhof errichtet wird. Daraufhin wird die Bühne an den Nordrand des Dorfes verlegt. Noch einmal übernimmt Nicolaus Unhoch die Entwurfsarbeit, die Planung und Durchführung des Bühnenneubaus. 5000 Zuschauer finden im neuen Theater Platz. Allerdings kommen nur etwa 13 000 Besucher zu den 11 Aufführungen. Laut einem Zeitungsbericht von Lorenz von Oken vom 27. Juni 1830 wirkten am Passionsspiel 300 Personen mit.
Sulpiz Boisserée, Kunsthistoriker
Den enthusiastischen Brief, den S. Boisserée über das Passionsspiel an Goethe schreibt, veröffentlicht dieser in der Zeitschrift „Chaos“.
Joh. Nicolaus Unhoch, der am 6. Dezember 1762 geborene Sohn eines Oberammergauer Bildschnitzers besuchte die Schule in Ettal und anschließend das Jesuiten-Kollegium in Augsburg. 1801 wird er Frühmessbenefiziat in Oberammergau. Während seiner Zeit in Oberammergau war er auch kurfürstlicher Schulinspektor für den Ammergau. 1823 verlässt er nach einem Streit mit der Gemeinde seinen Geburtsort und wird Frühmesser in Garmisch. Am 24. Mai 1833 stirbt er in Schongau, wo er bereits 1826 das St.-Nikasi-Benefizium übernommen hatte.
1840
23. Spieljahr
35.000 Besucher. Der Aufschwung geht auf Zeitungsberichte von 1830 zurück.
Rezensenten wie G. Görres, I. F. Lentner, L. Steub, E. Devrient, M. Deutinger, J. Sepp entdeckten das Passionsspiel und machten es weithin bekannt.
Die Gemeinde errichtet einen festen Bühnenfundus und kauft Kostüme von Mittenwald und Kohlgrub, deren Spiele sich aufgelöst haben.
Der englische Kaufmann Joseph Brooks Yates schreibt 1840 den ersten Bericht in englischer Sprache. Unter den Gästen war Kronprinz Maximilian von Bayern, Friedrich August II. König von Sachsen und seine Ehefrau Karoline Ferdinande von Österreich.
Kronprinz Maximilian von Bayern
Karoline Ferdinande von Österreich
Friedrich August II. König von Sachsen
1850
24. Spieljahr – 14 Vorstellungen
Spielleitung und einzelne Textänderungen durch Joseph Alois Daisenberger (1799-1883, seit 1845 Pfarrer in Oberammergau). Ein gewählter „Passionsausschuss“ organisiert die Spiele. Erstmals französische und englische Berichte über das Spiel. Die 14 Aufführungen des Passionsspiels sind überaus gut besucht. Die Zahl der Besucher steigt auf knapp 45.000. Aus den Gewinnen des Passionsspiels stiftet die Gemeinde 6.500 Gulden für gemeinnützige Zwecke, 10.000 Gulden werden an die Mitwirkenden ausbezahlt. Die älteste erhaltene Fotografie von den Passionsspielen ist von Tobias Flunger in der Rolle des Christus 1850.
Unter den Gästen war Elisabeth Herzogin in Bayern, die spätere Kaiserin „Sissi“ von Österreich, Königin Marie von Bayern und die englische Schriftstellerin Anna Mary Howitt.
Elisabeth Herzogin in Bayern, die spätere Kaiserin „Sissi“
Königin Marie von Bayern
Schriftstellerin Anna Mary Howitt
1860
25. Spieljahr
1858 überarbeitet Daisenberger auf Wunsch der Regierung und unter Einbeziehung der Kritik von 1850, den Text des Spieles grundlegend. Er bevorzugt das Johannes-Evangelium und sucht die Dramatik der Passion herauszuarbeiten. Statt der Aktualisierung bei Othmar Weis setzt er auf Allgemeingültigkeit, statt Realismus auf Idealisierung, statt des Politischen auf das Psychologische, wie bei Judas. An der antiken und klassischen Tragödie orientiert, strebt er andererseits nach Volkstümlichkeit durch Einfügung von Legenden (Veronika, Ahasver) und Kreuzweg-Inhalten (z.B. Jesus Begegnung mit Maria).
Josef Alois Daisenberger
Josef Alois Daisenberger wird am 30. Mai 1799 in Oberau geboren. Bevor er ans Wilhelmsgymnasium nach München geht, erhält Daisenberger Unterricht bei Othmar Weis. Von 1817 bis 1820 studiert Daisenberger in Landshut Theologie, u.a. bei Johann Michael Sailer. 1821 wird er zum Priester geweiht. Danach ist er als Pfarrgehilfe in Grassau, Schlehdorf und Farchant tätig. Von 1831 bis 1845 arbeitet er als Pfarrer in Uffing am Staffelsee. 1845 wird er zum Pfarrer von Oberammergau ernannt. Im Jahr 1850 wird ihm die Spielleitung der Oberammergauer Passionsspiele übertragen. Alois Daisenberger stirbt 1883 mit 83 Jahren und wird auf dem alten Gemeindefriedhof von Oberammergau begraben.
Eine Ansicht der Passionsbühne aus dem Jahr 1860
Unter den Gästen waren viele Geistliche, unter ihnen Erzbischof Gregor von Scherr, der Erzbischof von München Karl Kardinal Reisach und Arthur Penrhyn Stanley, Bischof der Broad Church, Dechant von Westminster in London
Arthur Penrhyn Stanley, Bischof der Broad Church, Dechant von Westminster in London
Erzbischof Gregor von Scherr, der Erzbischof von München und Freising
Karl Kardinal Reisach, der Erzbischof von München, Kurienkardinal in Rom
1870 / 1871
26. Spieljahr
Daisenberger dichtet Prologe in antiken Odenmaßen zu den Lebenden Bildern. Seinen Vorschlag einer Vers-Passion nimmt die Gemeinde nicht an. Am 17. Juli 1870 verkündet der Prolog auf der Bühne den Beginn des Krieges gegen Frankreich. (Deutsche Erinnerungsorte Band 3). Das, wegen des Krieges unterbrochene Spiel, wird 1871 fortgesetzt. 40.000 Besucher zählte man in den Jahren 1870/71. Laut einem Bericht von Emil Knorr spielen etwa 500 Personen mit.
Die Bühne aus dem Jahr 1870
Ludwig II., König von Bayern
Am 25. September 1871 besucht König Ludwig II. in einer Separat- Vorstellung das Passionsspiel. Nur vier Begleiter saßen mit ihm im sonst leeren Zuschauerraum. Er war so begeistert, dass er der Gemeinde eine große Skulptur, die „Kreuzigungsgruppe“, schenkte.
Die Kreuzigungsgruppe traf am 15. August 1875 in Oberammergau ein und wurde am 15. Oktober 1875 auf dem Osterbichl eingeweiht.
Drei Jahre lang kam König Ludwig jeweils am 15. Oktober zur Kreuzigungsgruppe zum stillen Gebet, ehe ihn die immer zahlreicher werdenden Neugierigen vertrieben.
Die Kreuzigungsgruppe
Das lebende Bild „Die Vertreibung aus dem Paradies“
Unter den Gästen finden sich wieder bekannte Namen: Der Komponist Franz Listz, der britische Bankier Leopold de Rothschild, der Komponist Richard Wagner und der spätere König von England Edward VII.
Kronprinz Albert Edward, der spätere König von England Edward VII.
Der Komponist Franz Liszt
Leopold de Rothschild, britischer Bankier
1880
27. Spieljahr
Besucheranstieg auf 100.000. Der Ausbau der Bahnstrecke bis Murnau erleichtert die Anreise. Thomas Cook entdeckt Oberammergau für den aufblühenden Tourismus. Unter den Gästen ist Herzog Georg II. von Meiningen, der den historisierenden Theaterstil der Zeit prägte. Die Kostümfertigung findet am Münchner Hoftheater statt.
Königin Viktoria von Schweden, der Priester und Reisepionier Thomas Cook und der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm besuchen das Spiel.
Anton Bruckner war am 22./23. August 1880 zu Besuch bei den Passionsspielen in Oberammergau. Er verliebte sich in eine Oberammergauerin, die junge Marie Bartl. Eines der in Marienbad entstandenen Fotos schickte er ihr. Die Briefe an die Mutter sind in St. Florian erhalten.
Bericht von Ferdinand Groß (1848-1900): „Mir wurde englisch zumute: Söhne und Töchter Albions (Engländer), immer neue, als vermehrten sie sich unterwegs, eine Invasion von Frankfurt bis Murnau. Sie haben ein britisches Reisebüro, Tickets für Wagen, Wohnung, Verpflegung und Billets ... Engländer würden selbst Tickets für den Jüngsten Tag lösen. Der Mietwagen in Murnau kostet 25 Mark für Engländer, 15 Mark für die übrige Menschheit. „Christus“ Mair hat 50-60.000 „Freunde“, die ihn besuchen. Seine Schnitzereien sind wie Reliquien; die Engländerinnen wollen sie in Rom vom Papst segnen lassen.“ (Oberammergauer Passionsbriefe, Leipzig 1880)
Karikatur aus dem Jahr 1880
Königin Viktoria von Schweden
Reisepionier Thomas Cook
Komponist Anton Bruckner
1890
28. Spieljahr
Bühnenneubau durch den international renommierten Münchner Theatertechniker Carl Lautenschläger (Abtrennung der seitlichen Häuser, Neorenaissance-Fassade, technische Modernisierung), Teilüberdachung der Sitzplätze, Neuinszenierung im Hoftheaterstil mit naturalistisch-historisierenden Bühnenbildern und Kostümen. 124.000 Zuschauer bei 40 Vorstellungen. Der katholische Pfarrer erhält Platz und Stimme im Passionsspiel – Komitee.
Unter den Besuchern befinden sich Isabella II. Königin von Spanien, Michael Augustine Corrigan der Erzbischof von New York, der Sultan von Jahore und der Maler Franz von Lenbach.
Amalie Deschler als „Magdalena“
Skizze von Fritz Bergen „Zum Theater“
Königin Isabelle II. von Spanien
Abu Bakar al-Khalil, der Sultan von Jahore
Franz von Lenbach, Maler
Postkarte der Bühnenansicht von 1890