15.09.2022

Der Ton macht die Passion

FÜR DIE PASSIONSSPIELE 2022 HABEN RUDOLF PIRC UND SEIN TEAM EIN KOMPLETT NEUES ORTUNGS- UND BESCHALLUNGSKONZEPT ENTWICKELT.

Rudolf Pirc von Neumann & Müller

Die Bühne des Passionstheaters birgt ein Geheimnis. Für das Publikum nahezu unsichtbar sind 18 Lautsprecher über die gesamte Breite in der Bühnenkulisse verteilt. „Das ist ja ein nach hinten offener Aufbau, wo ich darüber nichts aufhängen kann“, erklärt Sound Designer Rudolf Pirc. „Also mussten wir die Lautsprecher in die Kulisse integrieren, und das war schon eine Herausforderung.“ Die Platzierung war eine Gratwanderung zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen: Bühnenbildner Stefan Hageneier und der Spielleitung war wichtig, dass man nichts sieht. Pirc, dass der Klang stimmt.

Irgendwie haben sie sich geeinigt, nachdem teilweise um Millimeter gefeilscht wurde und sie bis an die Grenzen des physikalisch Machbaren gingen, wie sich Pirc lachend erinnert. Wenn man nicht genau weiß, wo man schauen muss, sieht man der Bühne ihr aufwendiges technisches Innenleben tatsächlich nicht an. Pirc veranstaltet zum Spaß schon mal ein Quiz, wie viele Lautsprecher verbaut wurden. Eigentlich kommt niemand auf die korrekte Antwort. Hageneier kann also zufrieden sein mit dem Ergebnis – und Pirc ist es auch. Zu den Lautsprechern auf der Bühne kommen 54 kleine für den Nahbereich in der Bühnenkante und 80 verteilt im Publikumsraum, die die Raumakustik eines Konzertsaals nachbilden. Für die Passionsspiele haben Pirc und sein Team eigens ein Beschallungskonzept mit gut 200 Ausspielwegen entwickelt. Zum Vergleich: Dolby 5.1, wie die meisten es kennen, hat lediglich sechs.

Pirc hat 2005 zum ersten Mal im Passionstheater gearbeitet, bei der Inszenierung „König David“. 2010 wurde dann auch die Passion zum ersten Mal tontechnisch unterstützt, damals arbeitete man noch mit festen Richtmikrofonen am Boden. Bis dahin mussten die Darsteller:innen alle laut und frontal nach vorne sprechen, um verstanden zu werden. Durch die technische Unterstützung wurden 2010 auch leisere Töne möglich, die Verständlichkeit um einiges besser. Allerdings mussten nach wie vor alle Texte direkt in Richtung des Publikums gesprochen werden, was der Inszenierung eine gewisse Statik aufzwang. Auch die Ortung war „verbesserungsfähig“, wie Pirc sagt. „Die Lautsprecher waren nicht in ausreichender Stückzahl an der richtigen Stelle positioniert. Man hatte ungefähr einen Bezug, ob etwas links oder rechts ist, aber es war kein Vergleich zu heute. Wenn man jetzt ab Reihe 30 aufwärts sitzt, ist die Auflösung so klar und eindeutig, da waren sogar wir beeindruckt. Auch leise Töne kommen präzise an und sind gut verständlich. Das passt jetzt einfach zusammen, alles kommt aus der richtigen Richtung, und das Hirn muss sich beim Zuhören nicht mehr anstrengen.“

Dieser Effekt ist das Ergebnis eines komplexen Ortungssystems: Die über 100 Sprechrollen tragen nicht nur Mikroports mit Sendern, sondern auch Ortungssender. Diese übermitteln ihre Position auf der Bühne an ein Computerprogramm, das ihre Position an das Beschallungssystem weiter gibt. Pircs Anliegen ist es, akustisch den Bezug zu dem herzustellen, was optisch auf der Bühne passiert. Wenn man so will: Die technische Unterstützung soweit zu perfektionieren, dass sie so unauffällig wie möglich wird, das Ergebnis so natürlich wie möglich klingt. Es soll sich auch hinten anhören, als säße man ganz vorne. Diese feine Aufgliederung des Tons erfordert die vielen Lautsprecher, für eine normale Beschallung des Theaters würden deutlich weniger genügen.

Pirc war einer der ersten, die mit einem solchen Ortungssystem gearbeitet und es mit weiterentwickelt haben. Dieses kommt übrigens aus dem Sport, beim Fußball wird es eingesetzt, um festzustellen, wie viel und wohin ein Spieler gelaufen ist, erzählen Ekki von Nordenskjöld und Josi Schmidbauer. Zusammen mit Marc Heene und Toni Spirkl kümmern sie sich bei jeder Vorstellung im Saal um die Tonregie. Sie balancieren die Mikros der Akteure, die gerade auf der Bühne sind, aus. Welche Lautsprecher wann mit welcher Lautstärke beschallen, wird automatisch anhand der Sprecher-Position errechnet und wird ständig in der Tonregie überwacht. Dafür, dass man nur das hört, was man hören soll, ist das Team verantwortlich. Auf die Frage nach Pannen müssen sie zugeben: Während der Proben sei es schon mal vorgekommen, dass man im Zuschauerraum gehört hat, was ein Darsteller in der Garderobe gesagt hat. Aus guten Gründen ist zum Beispiel der Jesus-Darsteller mit zwei Mikrofonen ausgestattet: Als das Hauptmikro nach der Geißelung einmal voll Blut war und dadurch ausfiel, konnten sie unterbrechungsfrei aufs andere umschalten.

Tontechniker Ekki von Nordenskjöld (Foto: Sebastian Schulte)

Ein Teil des Ton-Teams der Passionsspiele: Marc Heene, Maximilian Kasseckert, Christian Richter und Toni Spirkl

Damit alles so glatt läuft wie irgend möglich, gibt es hinter der Bühne einen Kontrollraum, in dem alle Darsteller:innen vor ihrem Auftritt ihr Mikrofon checken müssen. Von hier aus wird der Betrieb der Funkmikros permanent überwacht. Maximilian Kasseckert und Christoph Müller sehen auf ihrem Monitor, wenn es eine Störung gibt. Dann kommt das Notfallset oder „Panikmikro“ zum Einsatz, das griffbereit an der Wand hängt – und einer der beiden muss losrennen, den Betroffenen suchen und checken, wo der Fehler liegt. „Die große Herausforderung ist, dass das Spiel so lange dauert und es so viele sind“, sagt Josi Schmidbauer. „Wir haben ein Textbuch mit vielen Markierungen und haben die einzelnen Szenen im Mischpult programmiert, sodass wir immer Zugriff auf die aktiven Darsteller einer Szene haben. Aber sich über die so lange Spieldauer zu konzentrieren, das ist anstrengend.“ Nicht eben einfacher machen es die coronabedingten Umbesetzungen, die in diesen Tagen nicht ausbleiben. Daher kann es vorkommen, dass ein Darsteller mal einen Satz von einem fehlenden übernimmt. „Da müssen wir gut miteinander kommunizieren, damit alle auf dem aktuellen Stand sind und wissen, wer wann spricht“, so Ekki von Nordenskjöld.

Pirc jedenfalls ist mit dem Ergebnis zufrieden. Die Mikroports machen die Spieler:innen unabhängiger in ihrer Bewegung, das Spiel wird natürlicher und freier. Durch die hinten im Publikumsraum eingebaute wenig reflektierende Wand gibt es weniger störende Rückwürfe, auch der Orchestergraben wurde akustisch durch Gunter Engel vom Akustik Büro Müller BBM verbessert, so dass nun alles viel ausgeglichener klingt. „Und durch das ortungsbezogene Beschallen hat der Ton jetzt einen Bezug zu dem, was auf der Bühne passiert“, sagt Pirc. „Das ist wie ein PAL-Fernseher im Vergleich zu HD oder gar 4K-Auflösung. Wir wären in diesem Vergleich jetzt bei 4K angekommen.“

Text: Anne Fritsch

Foto: Sebastian Schulte

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