ZUR MUSIK IN DER PASSION
Zwei Gulden für die „zwei Herren Trompeter von Ettal“ – dieser Auszug aus der Gemeinderechnung für die Passionsspiele 1700 ist der erste Hinweis auf eine musikalische Begleitung der Spiele. Ansonsten ist über die ersten 150 Jahre so gut wie gar nichts bekannt. „Es gibt nur die Texte, zum Beispiel Mitte des 18. Jahrhunderts den von Pater Ferdinand Rosner aus Ettal: ein ellenlanger Text in Reimform mit Himmel und Hölle“, erzählt Markus Zwink, der Musikalische Leiter der Passionsspiele. „Man weiß, dass da gesungen wurde, aber die Musik ist nicht überliefert.“
Komponist Rochus Dedler (Foto: Gemeinde Oberammergau)
1810 schrieb Othmar Weis einen neuen Text, zu dem Rochus Dedler die Musik komponiert hat. Ein Zeitgenosse notierte, Dedler habe „die Musik hochgebracht, vorher ist sie nichts gewesen“. Die neue Komposition war umfangreich, die Besetzung klein: um die 14 Leute im Chor, ebensoviele im Orchester. „Damals wurde noch auf dem Friedhof gespielt“, erklärt Zwink, „die Gräber waren vermutlich sogenannte Klapp-Gräber, die man umklappen konnte, damit eine Bühne darüber errichtet werden konnte. Die Zuschauer saßen auf den Friedhofsmauern. Das waren sicher abenteuerliche Zustände, nicht nur akustisch.“ So lange er lebte, komponierte Dedler immer wieder Ergänzungen. 1820 war er Komponist, Dirigent, Bass-Solist und Prologsprecher in Personalunion. 1822 starb er. Wie man mutmaßt, an Überanstrengung. „Wir haben vor zwei Jahren einen Versuch gemacht, das Melodram so aufzuführen“, sagt Zwink. „Ich habe also dirigiert, gesprochen und gesungen wie Dedler. Das war sehr spannend. Es geht, aber es ist anspruchsvoll.“
Das Auditorium wuchs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf bis zu 6000 Zuschauer pro Aufführung an, die musikalische Besetzung aber blieb die gleiche. Erst 1870 wurde das erste Mal eine Partitur mit zusätzlichen Bläserstimmen geschrieben. Nach und nach vergrößerte man auch das musikalische Ensemble. 1910 umfassten Orchester und Chor je um die 40 Personen. „Die musikalische Ausführung wurde allerdings immer als dilettantisch kritisiert“, erzählt Zwink, „Franz Liszt beispielsweise hat bei seinem Besuch 1870 wohl nur die erste Hälfte der Aufführung ertragen.“ Man begann also, in die musikalische Bildung der Bevölkerung zu investieren. Der Schullehrer zum Beispiel musste musikalisch bewandert sein, singen, dirigieren oder arrangieren können.
"Heil Dir" in der Originalpartitur von Rochus Dedler „Volkschöre zur Passionsmusik 1815. II Stimme“ (Foto: Gemeinde Oberammergau)
Heute gibt es in Oberammergau zwei Mädchen- und zwei Bubenchöre, einen Jugend- und einen Erwachsenenchor, das örtliche Orchester sowie ein jugendliches Streichorchester, die „Nerven-Sägen“. Der Instrumentalunterricht wird von der Gemeinde großzügig bezuschusst. Und wenn einer es auf sich nimmt, ein „Mangel-Instrument“ wie Oboe oder Fagott zu lernen, werden auch die Instrumente gestellt. „Das Angebot wird gut angenommen“, so Zwink. „Wir haben auch regelmäßige musikalische Events wie das Sternsingen, wo die alten Musiker und Chorsänger immer genau zuhören. So entwickeln die Kinder von klein auf ein Gefühl dafür, was Qualität ist.“ Ganz vermeiden lassen sich Lücken im Nachwuchs aber nicht. „Wir haben singende Frauen en masse und auch im Bass schaut es gut aus. Aber Tenöre sind wie überall dünn gesät, die gibt es einfach weniger“, so Zwink. Insgesamt ist er mit dem aktuellen Stand aber zufrieden: Es gibt einen Pool von 110 Musikerinnen und Musikern, im Orchestergraben sitzen immer um die 55. Auch der Chor ist doppelt besetzt.
Zwink war 1990 das erste Mal federführender Dirigent der Passionsspiele. Damals komponierte er eine musikalische Überleitung von sieben Takten – und hatte totale Skrupel: „Ich bin in einer Zeit groß geworden, wo ziemlicher Stillstand herrschte und es keine großen Neuerungen im Passionsspiel gab. Eine inhaltliche oder musikalische Auseinandersetzung fand im Grunde nicht statt, Text und Musik galten als unantastbar.“ Sein „musikalischer Durchbruch“ kam 2000, als er viele lebende Bilder neu komponierte. Zunächst wälzte er die alten Dedler-Partituren auf der Suche nach Verwendbarem, merkte aber schnell, dass er das neu angehen muss. „Die Bühne ist so groß, dass ich den Raum auch musikalisch füllen muss“, erklärt er, „indem ich den Chor splitte und eine venezianische Mehrchörigkeit und musikalische Tiefenwirkung schaffe.“
2010 dann, als Spielleiter Christian Stückl sich intensiver mit jüdischen Fragen auseinandersetzte, vertonte Zwink das Gebet Schma Jisrael für den Besuch im Tempel. „Nicht nur der Chor, sondern das gesamte Volk singt hier auf Hebräisch. Zur Inspiration habe ich hebräische synagogale Gesänge angehört, aber auch Pop-Musik von Ofra Haza, damit ich klanglich in eine andere Welt komme. Das hat den Leuten wahnsinnig viel Spaß gemacht und ist sofort zu einer Art Klassiker geworden.“ Die Scheu vor neuen Kompositionen ist längst einer Lust am Ausprobieren gewichen – auch für 2020.
Markus Zwink (Foto: Gabriela Neeb)
Text: Anne Fritsch