In der Passion spielen nicht nur Menschen mit. Und nicht immer sind es diese, die das Sagen haben.
Auf der Bühne der Passionsspiele gibt es drei Gruppen: Erwachsene, Kinder und Tiere. Letztere sind zahlenmäßig zwar unterlegen, deswegen aber nicht weniger fordernd. Zwei Kamele, zwei Pferde, ein Esel und allerlei Schafe, Ziegen, Hühner und Tauben sollen 2022 mitspielen. Untergebracht sind die größeren Gasttiere alle auf der Wiese beim „Scholler Toni“, der eigentlich Anton Mangold heißt und hinter dem Passionstheater wohnt. Er kümmert sich um die Tiere und bringt sie zu ihrem Auftritt zum Theater. Zumindest versucht er das. Denn diese haben auch ihren Willen und ihre Eigenheiten. Der Esel Sancho, der genau genommen ein katalanischer Riesenesel ist, zum Beispiel: Bei den Fotoaufnahmen 2020 hatte er einmal überhaupt keine Lust, auf die Bühne zu gehen. Er blieb einfach vor dem Theater stehen, alle Motivationsversuche blieben erfolglos. Erst als der Scholler Toni, der eigentlich gerade zu Gast bei einer Hochzeit war, herbeigeeilt war, ließ er sich zu seinem Auftritt bewegen.
Um die Kamele mit auf die Bühne nehmen zu dürfen, braucht man einen „Kamelführerschein“. Der Scholler Toni verbrachte 14 Tage auf dem Kamel-Hof in Landsberg, um die Tiere kennen zu lernen und die nötige Bescheinigung zu bekommen. Eigentlich sind sie sehr genügsame Tiere, erzählt er. Mit der Kälte in den Bergen haben sie gar kein Problem, in der Wüste wird es oft deutlich kälter. Nur auf Schnee sind sie nicht vorbereitet, „da rutschen sie umanand wie die Teddybären, weil sie keine Klauen, sondern nur so Puffer haben“, erzählt der Scholler. Und wenn es ein Gewitter gibt, geht gar nichts mehr: „Wenn sich ein Kamel auf stur stellt, kriegst du das nicht vom Fleck. Wenn die nimmer mögen, ist Ende“, sagt er. Vielleicht deshalb teilen nicht alle Beteiligten seine Einschätzung über den Charakter der Tiere. „Kamele sind die hinterfotzigsten Tiere, die ich kenne“, erzählt mir Markus Köpf, der 2010 als Herodes gemeinsam mit ihnen auftrat. „Die kommen immer so verknautscht daher, sind aber ganz linke Viecher.“ Die durchaus auch mal spucken, beißen oder treten, wenn ihnen danach ist. Oder sich samt auf ihnen reitender Herodesdienerin mit dem Kopf zur Wand statt zum Publikum hinstellen. „Aber im Großen und Ganzen sind sie auch Rampensäue“, so Köpf. „Drum hat es meist ganz gut geklappt.“
Links auf dem Bildausschnitt Markus Köpf auf Gerko bei den Bildbandaufnahmen 2010 (Foto: Brigitte Maria Mayer)
Die größte Herausforderung aber sind die Pferde. Zwei soll es diesmal geben, damit Hauptmann und Pilatus gemeinsam auf die Bühne reiten, römische Macht demonstrieren können. Und das funktioniert: „Es macht schon was mit einem, wenn man reinreitet“, erzählt Köpf, der diesmal den Hauptmann spielen wird. „Du bist sofort der Chef auf dem Platz, jeder muss zu dir aufschauen. Die erhöhte Sitzposition ist ein Machtfaktor in der Menge. Alle schauen, dass sie dir nicht zu nahe kommen. Auf dem Pferd kann die größte Pflaume was darstellen.“ Er lacht. Inzwischen hat er sich ans Reiten gewöhnt. 2010 war das noch anders. Als Christian Stückl ihm damals verkündete, dass auch er als Herodes diesmal reiten wird (und nicht nur wie bis dato der Hauptmann), nahm er das erstmal gar nicht ernst. Oder: verdrängte es. Denn mit Pferden hatte er gar nichts am Hut, wollte nicht mal als Kind im Zoo auf einem Pony reiten. Bis er auf einem Spaziergang zufällig seinem Herodes-Kollegen begegnete, der mit Pferd und Reitlehrerin unterwegs war. Ihm wurde klar, dass das mit dem Reiten kein Witz gewesen war. „Da hatte ich schon acht Wochen Rückstand“, erinnert er sich. Er nahm also auch Unterricht, wollte sich schließlich keine Blöße geben.
Bei der ersten Fotoprobe hat er 2010 trotzdem „geschwitzt wie nie mehr“ in seinem Leben: Das Passionspferd Gerko, das mit einem Stockmaß von 1,80 Metern deutlich größer war als seine Übungspferde, hatte vorher nie ein Kamel gesehen. Als die beiden Höckertiere dann neben ihm auf der Bühne auftauchten, war ihm das nicht geheuer. Das Pferd war nervös, was seinem ebenfalls nervösen Reiter das Leben nicht unbedingt leichter gemacht hat.
Diesmal ist Köpf jedenfalls besser vorbereitet auf seinen Auftritt zu Pferde, weiß, worauf zu achten ist, und gibt dieses Wissen an seine reitenden Kollegen weiter. Einer von ihnen ist Anton Preisinger, der den Pilatus spielen wird und sich ebenfalls so seine Gedanken macht. Dass ihm 1970 sein Vater als römischer Hauptmann vom Pferd herunter zugewunken hat, hilft höchstens moralisch. „Das Reiten ist nicht unbedingt mein Hobby“, gesteht Preisinger. „Aber nun verlangt es eben die Rolle.“ Im Dezember 2019 hatte er mit dem Reitunterricht begonnen, der diesmal in der Gruppe und mit den Passionspferden stattgefunden hat. Nun wird er wohl im Winter wieder einsteigen. Seine Reit-Szene ist einigermaßen überschaubar, was ihn beruhigt: Er reitet mit dem Hauptmann auf die Bühne, Soldaten vertreiben das Volk, und dann darf er schon wieder absteigen. „Ich hoffe halt, dass nicht zu viele Reitexperten im Publikum sitzen, weil die natürlich sofort sehen werden, dass ich blutiger Anfänger bin“, sagt er und lacht.
Im Vorfeld der aktuellen Passion sorgte auch der seit jeher beim Einzug in Jerusalem mitspielende Esel für Aufregung. Die Tierschutzorganisation PETA wandte sich mit einer Bitte an den damaligen Oberammergauer Bürgermeister Arno Nunn sowie an Walter Rutz, den Geschäftsführer des Eigenbetriebs Oberammergau Kultur: Oberammergau solle doch bitte auf den Esel (und alle anderen Tiere) gänzlich verzichten. „Heutzutage würde Jesus nicht mehr auf einem Esel reiten“, so Peter Höffken, Fachreferent bei PETA. „Er würde sich vermutlich auf einem E-Roller oder mit einem anderen tier- und umweltfreundlichen Elektromobil fortbewegen.“ Dieser Vorschlag wird nicht umgesetzt, allerdings hat man sich bewusst für den katalanischen Riesenesel entschieden, weil dieser besonders kräftig ist. Auch ist die Strecke, die Jesus auf ihm zurücklegt, nicht gerade lang. An die 30 Meter dürften es sein von hinten bis auf die Bühne, schätzt Frederik Mayet, einer der Jesus-Darsteller. Und wenn man die Beschreibungen von Anton Lang liest, der 1900, 1910 und 1922 als Jesus auf dem Esel geritten ist, scheint es durchaus Tiere zu geben, die Lust am Theaterspielen finden – und darin, ihre menschlichen Mitspieler auch mal spüren zu lassen, wer wirklich der Stärkere ist: „[Der Esel] war bald mit dem Spiele so vertraut, dass er allein zum Theater trabte, wenn seine Zeit gekommen war, und sich am hinteren Eingang in seiner Sprache bemerkbar machte“, schreibt Lang in seinen Memoiren. „Neckereien konnte er nicht vertragen. Einem Mitspieler, der ihn vor der Aufführung mit einem Stück Zucker genarrt hatte, trat er auf offener Bühne während eines lebenden Bildes so kräftig auf den nackten Fuß, den die Sandale natürlich nicht schützte, dass dieser die Zähne zusammenbeißen musste, um sich nicht zu bewegen.“
Frederik Mayet mit Esel Sancho bei den Proben 2020 (Foto: Sebastian Schulte)
Text: Anne Fritsch
Fotos: Brigitte Maria Mayer, Sebastian Schulte