09.08.2022

Vom Leben hinter der Bühne

AUF DER BÜHNE DES PASSIONSTHEATERS IST VIEL LOS. IN DEN GARDEROBEN DAHINTER AUCH.

In der Garderobe des Hohen Rats spielen die Kaiphasdiener Karten (Foto: Sebastian Schulte)

Am kulinarischsten geht es heute in der Garderobe vom Hohen Rat und der Kaiphasdiener zu. Gleich zwei Geburtstage sind hier zu feiern, was bedeutet: zweimal Brotzeit für alle. Vor der Pause gibt es Brezen, groß wie Wagenräder, so dick belegt mit Käse, Schinken und Wurst, dass das Verhältnis zwischen Breze und Belag beinahe aus dem Gleichgewicht gerät. Im zweiten Teil dann jede Menge Salate, liebevoll abgefüllt in Einweckgläser. So viel des Guten, das sei dann doch die Ausnahme, betonen sie, da habe man sich nicht gut abgesprochen. Macht gar nichts, schmecken tut es ja trotzdem! Dass die Passionszeit nicht nur eine Leidenszeit für die Beteiligten ist, sondern sie es sich durchaus gut gehen lassen, das wird an diesem Tag hinter den Kulissen deutlich spürbar. In der Tenorgarderobe gibt es kühle Drinks, in der Schneiderei Eiskaffee und bei den Händlern ein Glaserl Wein. Die Passion mit ihren über hundert Vorstellungen verlangt ihnen allen viel ab, da ist es mehr als legitim, sich diese anstrengende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten.

Jede Garderobe hat da ihre ganz eigenen Bräuche und Gepflogenheiten. Fast überall gibt es einen „Strafenkatalog“ oder ein „Sündenregister“, das regelt, wie teuer es wird, wenn man zu spät zum Auftritt kommt, einen „Kostümfehler“ begeht (also zum Beispiel Mantel oder Kippa vergisst) oder während des Auftritts lacht. Auch Unfug auf der Bühne oder das Auslassen der „Kreuzigungshalben“ (die auch alkoholfrei sein darf) kostet, genauso wie die Abwesenheit bei Garderobenfesten oder -ausflügen. In der Ratsgarderobe gilt zudem: „Durch Hinweis vom Spielleiter werden die Strafen grundsätzlich verdoppelt!“ Die Bußgelder reichen dabei von 2 Euro für einen kleinen Kostümfehler bis hin zu 30 Euro für „groben Unfug“. Das gesammelte Geld kommt dann wieder allen zugute: Es finanziert die vielen kleinen und größeren Feste während der Spielzeit. Da bei so vielen Beteiligten viel über Eigenverantwortlichkeit läuft, dienen die „Strafenkataloge“ auch dazu, die Disziplin und Spielmoral über die langen Monate oben zu halten. Allerdings haben sie auch ihre Kehrseite: Spielleiter Christian Stückl ist nicht vorbehaltlos begeistert davon. Bei einigen führe der Wunsch nach vollen Kassen nämlich dazu, die anderen extra zum Lachen zu bringen oder Unfug anzustiften.

In der Mariengarderobe (Foto: Sebastian Schulte)

Bei den Händlern wird der Krug zusammengeklebt (Foto: Sebastian Schulte)

Ganz ohne Fehlverhalten füllt sich die Kasse der Händlergarderobe. Sie haben ihre ganz eigene Einnahmequelle. Nachdem Jesus bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel den großen Tonkrug auf die Bühne geworfen hat, sammeln sie die Scherben zusammen und kleben sie in ihrer Garderobe wieder zusammen. Damit das möglich ist, haben sie vorher mit Kreide farbige Markierungen auf der Innenseite des Kruges angebracht. Die helfen ihnen nun beim Puzzeln. Sie breiten alle Teile auf ihrem mit Folie ausgelegten Tisch aus, kleben sie mit Holzleim zusammen und fixieren das wachsende Gebilde mit Gurten. Später beschriften sie den Krug mit „Passion 2022“ und dem Spieldatum, dann wird er von den Darsteller:innen unterschrieben. Die so wiederhergestellten und aufgewerteten Krüge verkaufen sie als Erinnerung an die Beteiligten. Schon jetzt sind fast alle reserviert. Da kommt eine Menge Geld zusammen – und dieses wiederum kommt allen Mitwirkenden zugute: An einem spielfreien Tag im August wird aus der Krug-Kasse das Händlerfest veranstaltet, ein Höhepunkt der Spielzeit. Seinen Anfang genommen hat diese Tradition wohl 1960. Damals kam Herta Mayr, die im Chor sang, auf die Idee, die Krüge wieder zusammen zu kleben. 1980 dann haben die Händler übernommen, seitdem wird geklebt, verkauft und gefeiert.

Das Leben hinter der Bühne hat seine ganz eigene Dynamik und auch seinen eigenen Rhythmus, der sich diametral zu dem auf der Bühne verhält. Kurz vor dem „Einzug in Jerusalem“ am Anfang des Spiels geht es auf den Gängen hinter der Bühne turbulent zu. Die Kinder kommen mit ihren Schulranzen ins Theater, laufen nach oben in ihre Garderobe, um die kurzen Hosen aus- und die langen Volksgewänder anzuziehen. Jede und jeder bekommt einen Palmwedel, das Gedränge vor dem Tor zur Bühne wird immer dichter, auch der Esel kommt dazu. Wenige Momente später dann sind die Gänge plötzlich menschenleer, die Bühne voll. Bis sich die Tore wieder öffnen und das Volk zurück in die Garderoben drängt. Um dort auf den nächsten großen Auftritt zu warten, zu ratschen, zu karteln oder zu essen. Dann wird es wieder ganz ruhig in den Gängen. Bis auf einmal wieder eine Legion Römer vor einem steht, ein Pharao oder gar ein Kamel.

Text: Anne Fritsch

Fotos: Sebastian Schulte

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