15.03.2021

Sind wir Jesus?

Genau ein Jahr ist es nun her, dass die beiden Jesus-Darsteller von 2020/22, Frederik Mayet und Rochus Rückel, fast täglich gemeinsam auf der Passionstheaterbühne standen. Vormittags wurden noch Fotos gemacht, mittags kam die Anweisung den Probenbetrieb erst einmal einzustellen. „Mir war klar, dass wir nicht ‚erstmal’, sondern komplett aufhören“, erinnert sich Rochus Rückel. „Dann kam der Lockdown, und ich bin mir irgendwie nutzlos vorgekommen.“ Im Gegensatz zu anderen Hauptdarstellern hat sich der 23-jährige Student der Luft- und Raumfahrttechnik kein Freisemester genommen, um den Sommer über auf der Bühne stehen zu können. Seine Bachelorarbeit hätte er nebenbei geschrieben. Und nun? „Passt es genau gleich gut.“ Rückels Lachen klingt auch ein bisschen bitter. „2022 schreibe ich dann die Masterarbeit während der Passion.“

Eigentlich spiele er den Jesus dann ja schon zum zweiten Mal und Frederik Mayet bereits zum dritten, scherzt er noch. Aber natürlich ist auch dieses Thema von Wehmut begleitet. Das Passionsspiel wird ein anderes sein – von 2020 bleiben nur rund 25 Inszenierungsfotos. „Ganz traurig war der Moment, als ich nach der letzten Fotoprobe mein Kostüm wieder auf den Bügel gehängt hab’.“

Ein einschneidendes Erlebnis. Und dennoch: „Es ist schon gut, mit der Passion 2022 auch wieder ein Ziel vor Augen zu haben“, findet Frederik Mayet. „Man kann sich darauf freuen, wieder zusammen zu proben und gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Ich bin mir sicher, dass wir 2022 spielen werden. Bis es soweit ist, wird sich noch einiges verändern – hoffentlich zum Guten.“ Ein Spiel mit Sicherheitsabstand bleibt für beide unvorstellbar: Der fröhliche Ausnahmezustand zu Passionszeiten entstehe in Oberammergau ja gerade durch die soziale Nähe.

Die beiden Jesus-Darsteller Rochus Rückel und Frederik Mayet (Foto: Sebastian Schulte)

Die harte Arbeit habe sich dennoch gelohnt. „Verloren ist die Zeit nicht“, findet Rückel. „Wir haben jetzt eine gewisse Grundlage und viel Zeit zum Revue-passieren- assen – davon werden wir 2022 profitieren.“ Auch Mayet, der als Künstlerischer Direktor und Pressesprecher des Münchner Volkstheaters arbeitet, betont: „Ich finde den Probenprozess immer spannend beim Theatermachen. Es war eine anstrengende, aber schöne Zeit, natürlich nimmt man daraus sehr viel mit. Aber es fehlt definitiv der Abschluss: zeigen zu können, was wir da gemeinsam als Oberammergauer erarbeitet haben.“

Lohnt es sich denn für uns alle, auch zwischen den Passionsspielen über Gott und die Welt nachzudenken? „Ich glaube, die Botschaft des Passionsspiels ist immer relevant“, meint Frederik Mayet. „Und sei’s nur die christliche Basis: Passt aufeinander auf, geht gut mit den Mitmenschen um. Einer der ersten Sätze lautet: ‚Es ist eine harte Zeit für Israel, Armut und Krankheit raffen euch dahin.’ Beim Proben bist du einfach so drübergegangen. Die Krise aber zeigt uns wieder, was Armut und Krankheit bedeuten, wie klein die Menschen sind und trotz des medizinischen Fortschritts auch nicht viel weiter als vor 2000 Jahren – oder vor 400 Jahren, als hier in Oberammergau die Pest ausbrach.“ Rochus Rückel nickt: „Ich glaube, dass 2022 vor allem der heilende Jesus, der über Krankheit spricht, ein anderer sein wird. Natürlich, Krankheit hat es immer schon gegeben – nun aber gibt es eine große Krankheit, die alle gleichermaßen betrifft. Dadurch wird auch das Verständnis im Zuschauerraum ein anderes sein.“ Mayet schließt sich an: „Ich weiß nicht, ob nach der Krise die Welt eine bessere sein wird. Aber ich hoffe es, denn sie lässt uns vieles hinterfragen.“ Eine Pause entsteht. Beide hängen ihren Gedanken nach. Dann sagt Mayet: „Manchmal ist man auch ein bisschen verzweifelt über die Dummheit der Menschen.“

Text: Teresa Grenzmann
Foto: Sebastian Schulte

LADE INHALTE