30.11.2021

Schlafende Löwen und wartende Schlangen

IN OBERAMMERGAU ERWACHEN DIE WERKSTÄTTEN NACH DER CORONA-PAUSE WIEDER ZUM LEBEN. DIE VORBEREITUNGEN FÜR 2022 LAUFEN AN, KOSTÜME WERDEN ANGEPASST UND REQUISITEN AUS DER KISTE GEHOLT.

„Snakes in a box“ hat jemand mit Filzstift auf eine große Holzkiste geschrieben, die im Bauhof hinter dem Passionstheater steht. Vermutlich lagern hier die Schlangen aus der Schlangengrube, warten auf ihren Einsatz in einem der Lebenden Bilder. Sie befinden sich in bester Gesellschaft: Das goldene Kalb steht gleich daneben, für die Löwen wurde eine „Höhle“ gebaut, damit sie die Wartezeit auf die Passion 2022 mit heilem Fell überstehen, erzählt Elena Scheicher, eine Assistentin von Bühnenbildner Stefan Hageneier. An der Wand lehnen die Tafeln mit den zehn Geboten.

Nach der Absage der Spiele 2020 wurden Kostüme, Requisiten und Ausstattungselemente, die zum Großteil bereits fertiggestellt waren, sorgsam eingelagert. Nun wird in Oberammergau wieder gewerkelt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bühnenbau und der Schneiderei sind in die Werkstätten zurückgekehrt und machen sich an die Vorbereitungen für 2022. Und obwohl die Arbeiten schon weit gediehen waren, als der Corona-Lockdown kam, gibt es noch jede Menge zu tun. Alle 2000 Mitwirkenden müssen noch einmal zur Anprobe kommen. Einige haben inzwischen ein Kind bekommen, andere im Lockdown ein wenig zugelegt, erklärt Ines Kern in der Schneiderei, wo sie gerade die Schnittmuster für ein Chor-Kostüm auf einer Bahn schwarzem Stoff feststeckt. Kurzum: Jede und jeder muss noch einmal vermessen, die Kostüme gegebenenfalls geändert werden. Die ungefähr hundert Chormitglieder waren schon da, die anderen trudeln nach und nach ein. Den Kindern und Jugendlichen passen ihre Kleider sowieso nicht mehr: „In den zwei Jahren ist aus manchem Mädchen eine Frau, aus einem Bub ein Mann geworden“, erzählt Frederik Mayet, der mich hinter der Bühne herumführt. Bei ihnen müssen die Kostüme also komplett neu verteilt werden. Darum werden die Kinder auch die letzten sein, die zur Anprobe einbestellt werden. Schließlich ist es immer noch ein halbes Jahr bis zur Premiere, da kommen sicher noch einige Zentimeter dazu. Stoff ist noch genug da, in den Regalen lagern noch einige der Ballen, die Stefan Hageneier in Indien und der Türkei bestellt hat. Auf Kleiderständern hängen die bereits fertigen Kostüme, daneben stehen aufgereiht die Rüstungen für die Römer.

Stoffbahnen auf Lager (Foto: Anne Fritsch)

Anlieferung des Bühnenbilds für ein Lebendes Bild (Foto: Anne Fritsch)

Auch die Lanzen und Schilder warten in den Gängen hinter der Bühne auf ihren Einsatz. Für alle, die schlecht gehen können, liegen stilechte Krücken aus Holz bereit. In Kisten stehen tausende Sandalen, die bei einem Großeinkauf in Jerusalem erworben wurden und noch verteilt werden müssen. Gerade sitzt Anna Schories an den langen Listen der Mitwirkenden, aktualisiert, wer 2022 nicht mehr dabei ist, und wer neu dazu gekommen ist. Denn wo einige aus organisatorischen oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr dabei sein können und einige auch verstorben sind, kommen andere hinzu. Sie erfüllen nach der Verschiebung um zwei Jahre nun das strenge Spielrecht, das vorsieht, dass man 20 Jahre im Ort leben muss, bevor man bei der Passion mitwirken darf.

Als wir durch die Saaltür ins Freie treten, wird gerade mit einem Gabelstapler der Rahmen für eines der Lebenden Bilder angeliefert: Nach und nach werden diese nun alle einmal auf der Bühne aufgebaut, es wird gefeilt und optimiert. Durch die Verschiebung sind diese Elemente zu einem früheren Zeitpunkt fertig als gewöhnlich. Die gewonnene Zeit will Stefan Hageneier nutzen, um nochmal die Optik zu verbessern und Carsten Lück, der Technische Leiter, schraubt mit seinem Team an der Technik. Schließlich sind die Umbauten gewissermaßen die Nadelöhre der Spiele: Innerhalb von wenigen Minuten muss der Wagen mit dem Lebenden Bild hinter die Bühne geschoben und aufgebaut werden. Wenn Kalb, Schlangen und Löwen an Ort und Stelle sind, müssen sich schnell noch die Darstellenden in Position bringen, bevor sich der Vorhang öffnet. Da geht es um Sekunden – und natürlich ist jede Erleichterung im Auf- und Abbau ein Gewinn.

Im Februar wird es dann wieder voll werden auf der Bühne des Passionstheaters. Dann gehen die Volksproben für die 42. Passionsspiele los. Bis dahin wird im Hintergrund genäht, gemalt und getüftelt.

Text: Anne Fritsch

Fotos: Anne Fritsch

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