28.02.2022

Menschen-Bilder

WELCHE ROLLE DIE LEBENDEN BILDER IN DER PASSION SPIELEN - UND WARUM SIE TECHNISCH EINE GROSSE HERAUSFORDERUNG SIND

Das Lebende Bild "Der Tanz um das Goldene Kalb" wird eingeleuchtet (Foto: Sebastian Schulte)

Da steht es nun, endlich mitten auf der Bühne. Das Goldene Kalb. Nach der Verschiebung der Spiele wurde es mit Engelsflügeln, Schlangen und Löwen im Bauhof eingelagert, jetzt leuchtet es inmitten des blauen Raums. Es ist eines der zwölf Lebenden Bilder, die seit 1750 fester Bestandteil des Oberammergauer Passionsspiels sind. Damals war es Mode im Theater, Menschengruppen zu unbewegten Darstellungen zu arrangieren, zu „Tableaux vivants“, so der Bühnenbildner Stefan Hageneier: „Das ist keine Oberammergauer Erfindung, hat sich hier aber bis heute gehalten. Die Grundstruktur der Passion aus Spielszenen, Chor und Lebenden Bildern hat sich nie verändert.“

Wohl aber die Ästhetik und auch der Inhalt. So zeigen die Bilder immer Szenen aus dem Alten Testament, Auswahl und Reihenfolge aber sind nicht festgelegt. Einige, wie die Vertreibung aus dem Paradies oder die Anbetung des Goldenen Kalbs haben einen festen Platz in der Dramaturgie, andere wechseln. „Im ersten Bild hat man immer experimentiert“, erzählt Stefan Hageneier, „da war teilweise auch die Gelübde-Erneuerung mit drin. Dieses eine Bild ist darum immer aus dem Konzept gefallen, das war eine Seltsamkeit. Ich glaube, das haben auch viele im Publikum gar nicht verstanden.“ Darum gibt es hier diesmal eine Neuerung: Der Schwur, mit dem sich die Oberammergauer 1633 verpflichteten, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte Christi aufzuführen, wird diesmal als Spielszene dem Stück vorangestellt. Der bis dato schwer einzuordnende Chor führt in Gestalt historischer Oberammergauer Bürger durch das Spiel. Und die Lebenden Bilder bleiben im Alten Testament. „Wir wollten eine durchgehende Erzählung durch die Bilder gehen lassen, nämlich die des jüdischen Volks auf der Flucht. Damit wir auch auf dieser Ebene eine Identifikationsfigur haben, haben wir viele Moses-Bilder reingenommen“, so Hageneier. „Das sind auch Bilder von der Menschheit in Katastrophenzuständen. Und natürlich gibt es Analogien zum Heute, zur Flut im Ahrtal zum Beispiel. Aber es sind auch Hoffnungsbilder darunter, die das Geschehen auf der Bühne erhöhen.“

Weil jedes Bild anders aufgebaut ist und die Umbauzeiten knapp bemessen sind, sind die Lebenden Bilder die technisch größte Herausforderung im Spiel. Während vorne gespielt wird, muss hinter der Bühne das nächste Bild aufgebaut werden. Weil das Publikum eine freie Sicht auf die Berge hinter dem Theater haben soll, gibt es im Passionstheater keinen Bühnenturm. Die Kulissen wurden lange Zeit von unten auf die Bühne gefahren. Hageneier aber geht komplett anders vor: Seine Räume werden auf Bühnenwägen aufgebaut, die man variabel zusammensetzen kann. „Das macht es nicht einfacher“, gibt er zu, „aber man hat mehr Tiefenwirkung. Alles ist stärker architekturbasiert, früher waren die Darstellungen eher zweidimensional.“ Die jetzigen Häuser verjüngen sich nach hinten und reichen optisch weit in die Hinterbühne hinein.

Jedes Bild ist anders, folgt anderen Regeln. Bei jedem Umbau müssen die Seiten-, Decken- und Bodenelemente der Bühnenwägen ab- und wieder anmontiert werden. Anschließend platzieren die Dekorateure die Ausstattungselemente wie das Goldene Kalb, die Engelsflügel, die Löwen oder die Schlange im Bild, bevor der Wagen auf Position gebracht werden kann. Erst jetzt können die Darsteller*innen hereingerufen werden und ihre Plätze einnehmen. Damit das alles bei der Premiere reibungslos funktioniert, werden die Abläufe in diesen Wochen optimiert. Im Passionstheater laufen die Vorbereitungen für die Premiere im Mai inzwischen auf Hochtouren, jeden Tag wird eines der zwölf Lebenden Bilder aufgebaut, die Beteiligten positioniert und die Beleuchtung festgelegt. Die Raumelemente sind ordentlich an den Seiten der Hinterbühne aufgereiht, die große rote Schlange hängt in einer Gitterbox unter dem Dach. Ein 30-köpfiges Team wird in den nächsten Wochen jeden Handgriff einüben, bis alle Abläufe reibungslos funktionieren.

Zwölf Wochen vor der Premiere aber gibt es noch keine Eile beim Aufbau des Goldenen Kalbs. Am späten Nachmittag versammeln sich die Beteiligten auf der Bühne. Stefan Hageneier erklärt, wie das Bild aussehen soll. Wer soll sich betend hinknien? Wer schaut wohin? Wer steht am Rand? Welche Pose nimmt wer ein? – Und dann stehen auf einmal alle in Position. In Winterjacken noch und mit Masken. Und doch schon ziemlich eindrucksvoll.

Text: Anne Fritsch

Foto: Sebastian Schulte

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