02.07.2019

Kühne Tonartwechsel und eingängige Melodien

Das Motto „Chorfantasie“, das dem diesjährigen Konzert vorangestellt ist, bezieht sich auf ein ganz spezielles Werk, das in der gesamten Musikgeschichte wohl einen singulären Status hat: Die „Phantasie für Pianoforte mit Begleitung des ganzen Orchesters und Chor“ op. 80 von Ludwig van Beethoven.

Chor und Orchester der Passionsspiele 2010 (Foto: Brigitte Maria Mayer)

Für ein Benefizkonzert am 22. November 1808 hatte Beethoven in Windeseile noch ein wirksames Schlussstück komponiert und in letzter Minute einstudiert. Zeitgenossen berichten, dass Beethoven, der selbst am Flügel saß, die Anfangstakte bis zum ersten Einsatz des Orchesters frei improvisierte. Im Mittelteil des Werks entwickelt sich über mehrere Variationen hinweg ein lebhafter Dialog zwischen dem Pianisten und dem Orchester, bis der musikalische Duktus durch den Einsatz zunächst der Solostimmen und schließlich des ganzen Chores nochmal auf eine andere Ebene gehoben wird. Den Text dafür hatte Beethoven nach eigenen Vorstellungen von dem heute gänzlich unbekannten Dichter Christoph Kuffner schreiben lassen. Auch wenn Beethoven angeblich mit dem Ergebnis nicht zufrieden war, manifestiert sich in diesen Zeilen seine ureigene Botschaft: der Hoffnung Ausdruck zu geben, dass Kunst - und im Besonderen die musikalische Kunst - es vermag, weltanschauliche Dämme zu brechen, politische Grenzen einzureißen und Brücken zu bauen, und somit die Welt ein Stück weit lebenswerter zu machen. Pianist Julian Riem und das Passionsorchester widmen sich im ersten Teil des Konzerts diesem selten aufgeführten Werk.

Am 22. Dezember 1808 wird die Chorfantasie im Theater an der Wien uraufgeführt. In Teilen ist an dem Abend auch Beethovens Messe C-Dur op. 86 zu hören. Die Auftragskomposition für Fürst Nikolaus II. Esterházy zur Namenstagsfeier von seiner Gattin Maria Josepha stieß beim Auftraggeber jedoch nicht auf Wohlwollen: „Beethovens Messe ist unerträglich lächerlich und hässlich, ich bin nicht davon überzeugt, dass man sie ernst nehmen kann.“. Auch heute noch ist das Werk wegen seiner starken dynamischen Kontraste, seiner kühnen  Tonartwechsel und radikalen Textausdeutung eine Herausforderung für den Zuhörer – und selbstverständlich auch für die Ausführenden.

Chor der Passionsspiele 2010 (Foto: Brigitte Maria Mayer)

Neben Beethovens Werken kommen auch zeitgenössische A-Cappella-Chorwerke skandinavischer und baltischer Komponisten zur Aufführung. In Anlehnung an die zukünftige  Aufgabe des Passionschores – eine Brücke zwischen Altem und Neuem Testament zu schlagen, sind zwei der ausgewählten Werke Vertonungen biblischer Texte: Das „Magnificat“  des lettischen Komponisten Ēriks Ešenvalds ist ein klangsinnliches Chorstück auf den Lobgesang Mariens aus dem 1. Buch des Lukas-Evangeliums. Aus dem Buch Genesis stammt die Aufzählung der 12 Söhne Jakobs, die der Finne Pekka Kostiainen in seinem kurzen Werk „Jaakobin isot pojat“ in durchaus humorvoller und klanglich unkonventioneller Weise vertont hat. Aus der Feder eines weiteren Finnen, Jaakko Mäntyjervi, kommt der gänzlich auf sinnstiftenden Text verzichtende „Pseudo-Yoik“, eine augenzwinkernde Persiflage auf den Joik, einen weit entfernten Verwandten unseres Jodlers , der im hohen Norden Skandinaviens  vom dort lebenden Volk der Samen auch heute noch gepflegt wird. Eröffnet wird das Konzert mit dem Huldigungsmarsch aus der Schauspielmusik zu „Sigurd Jorsalfar“ („Sigurd der Jerusalemfahrer“), einem legendären Wikingerkönig, geschrieben von Norwegens Nationalkomponist Edvard Grieg.

Chorfantasie
Konzert mit den Solisten, Chor und Orchester der Passionsspiele Oberammergau und Julian Riem
Sonntag, 07. Juli 2019, 20 Uhr
Passionstheater

Karten unter +49 8822 945 88 88 oder www.passionstheater.de/spielplan/chor-fantasie

Text: Markus Zwink

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