15.11.2019

Keine Kompromisse

STEFAN HAGENEIER SETZT BEI KOSTÜM UND AUSSTATTUNG AUF ECHTE MATERIALIEN

Die Bühne des Passionstheaters ist eingerüstet, da wird gemauert, verputzt, gemalert. Mit normalem Theaterbau hat das wenig zu tun. Ohnehin umweht einen beim Rundgang über die Bühne und durch die Werkstätten eher ein Hauch von Ewigkeit als die Flüchtigkeit des Theaters. Alle zehn Jahre spielen die Oberammergauer die Passion Christi. Ihre Vorfahren gelobten das vor über 350 Jahren, um von der Pest verschont zu werden. Da gönnt man sich dann eben eine solide Kulisse und mehr Aufwand, als anderswo denkbar wäre.

In den Werkstätten und der Schneiderei jedenfalls herrscht längst Hochbetrieb. Ein neues Kreuz muss her, weil eine Wiederverwendung des vor zehn Jahren allzu beanspruchten Vorgängermodells nicht zu verantworten wäre. Die Ausstattung für sämtliche lebende Bilder muss hergestellt, ein halbes Dorf für das kollektive Theaterspiel eingekleidet werden. Es werden also Kostüme für über 2000 Beteiligte entworfen, genäht und anprobiert. Zu Beginn der Spiele erneuern diesmal Chor und Volk in historischer Tracht das Gelübde von 1634. Also: noch ein Satz komplett neuer Kostüme.

Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier (Foto: Gabriela Neeb)

Die Verantwortung für all das liegt zum dritten Mal beim Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier. Sollte man seinen Ansatz mit einem Wort beschreiben, es wäre wohl: „echt“. Echte Materialien, keine Fakes. Hageneier ist Perfektionist. Die Leder-Rüstungen der Soldaten und Soldatinnen im Gefolge von Herodes werden aus unzähligen kleinen Lederschnipseln zusammengesetzt, die mit dem Lasercutter ausgeschnitten wurden. Für die Engelsflügel werden Federn gefärbt und einzeln aufgenäht. Auch wenn die Federn zu kurz sind und deswegen mühsam zusammengesetzt werden müssen: Kunstfedern kommen ihm nicht auf die Flügel, deren Spannweite zweieinhalb Meter misst und deren Form von echten Vögeln inspiriert ist. Dass die Rüstungen aus Metall und nicht etwa aus günstigerem (und leichterem) Kunststoff sind, ist ebenfalls Ehrensache. Man soll sie schließlich nicht nur sehen, sondern auch hören. „Das ist eine Tradition, dass wir da keine Kompromisse eingehen“, sagt Hageneier.

In der Requisite werden die Engelsflügel gefertigt (Foto: Andreas Stückl)

Auch eine Tradition, seit Christian Stückl 1990 die Spielleitung übernommen hat: Inhaltlich und ästhetisch immer neu denken, die Handlung auf ihre Gültigkeit für uns befragen. „Das ist ja schon eine ungewöhnliche Aufgabe, dieselbe Geschichte alle 10 Jahre wieder anzugehen“, so Hageneier. „Aber man selbst ändert sich in diesem Zeitraum, und natürlich auch die Situation, in der wir leben.“ So wird sich 2020 zum Beispiel die Flüchtlingsthematik in den lebenden Bildern wiederfinden, die das Geschehen in einen größeren Zusammenhang einbetten: „Wir führen die lebenden Bilder inhaltlich stärker zusammen, indem sie sich zu einer durchgängigen Erzählung des vertriebenen und unterdrückten jüdischen Volkes zusammenfügen.“

Modell des Lebenden Bildes "Der Prophet Daniel in der Löwengrube" (Foto: Gabriela Neeb)

Modell des Lebenden Bildes "Kain verzweifelt" (Foto: Gabriela Neeb)

Modell des Lebenden Bildes "Moses wird vom Pharao verstoßen" (Foto: Gabriela Neeb)

Modell des Lebenden Bildes "Josés Traum" (Foto: Gabriela Neeb)

Modell des Lebenden Bildes "Der rettende Blick zur Ehernen Schlange" (Foto: Gabriela Neeb)

Während diese Bilder in starken Farben gestaltet werden, setzt Hageneier für die Spielszenen auf „Farblosigkeit“: „Ich habe hier eine 45 Meter breite Bühne und einen großen Zuschauerraum. Da brauche ich eine Fernwirkung“, erklärt er. „Auch spielen wir ja zum Großteil bei Tageslicht und haben keine Lichtführung. Das Volk muss also in die Bühne integriert werden und optisch in den Hintergrund rücken, damit die Hauptfiguren vorne gut zur Geltung kommen.“ Die Grundfarbe der Bühne bildet diesmal also auch die Grundfarbe der Kostüme für das Volk.

Bühnenmodell (Foto: Gabriela Neeb)

Bühnenmodell "Abendmahl" (Foto: Gabriela Neeb)

Hageneier reaktivierte die Kontakte zu seinen Stofflieferanten in Indien, schickte ihnen beige-graue Farbproben der Bühne und Entwürfe für Muster – und gab tausende Meter Stoff in Auftrag. Diese werden kombiniert mit alten Stoffen: „So ein echter Silber-Brokat-Stoff hat einfach auf der Bühne eine ganz andere Wirkung als ein eingefärbter“, davon ist Hageneier überzeugt.

Kostüm Volk (Foto: Andreas Stückl)

Kostüme Volk (Foto: Andreas Stückl)

Kostüm Hoher Rat (Foto: Andreas Stückl)

Innerhalb seiner selbst gesetzten Qualitätsstandards hat er dann die Freiheit, über die Feinheiten nachzudenken. Der Ehrgeiz der Passionsspiele ist es nicht, das Geschehen ins Heute zu übertragen. „Wir wollen hier nicht das zeitgenössische Theater aufrollen und die Römer als Nazis darstellen“, so Hageneier. „Sie stehen einfach für eine militärische Macht, für eine Gewalt. Wie stellt man das also dar? Es muss vorstellbar sein, dass sie so ausgesehen haben. Die Herausforderung dabei ist, dass sie nicht zu sehr wie die Römer bei Asterix & Obelix aussehen und zu Witzfiguren werden.“ Bei all dem Aufwand überrascht es nicht, dass Hageneier bei einer Frage resolut ist: Alle ziehen sich im Theater um, egal wie eng es hinter der Bühne wird. „Kein Kostüm verlässt das Haus!“

Text: Anne Fritsch
Fotos: Gabriela Neeb und Andreas Stückl

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