26.06.2019

Im Angesicht der Katastrophe

Die Pest als Strafe Gottes für einen sündig gewordenen Mann? Als Christian Stückl 1989 zum ersten Mal Leo Weismantels Stück „Die Pest“ las, verwahrte er sich gegen diese Deutung der Historie. „Der Text war sehr katholisch ausgelegt“, erzählt er. „Der Schisler geht in Eschenlohe mit einer Magd fremd, wird von Gott gestraft und schleppt die Pest nach Oberammergau ein.“ Diese Geschichte von Schuld und Sühne war nicht das, was Stückl erzählen wollte. Vor allem nicht in einer Zeit, als AIDS in aller Munde war. Wiederum eine Infektionskrankheit, die von vielen Pfarrern als Strafe Gottes tituliert wurde. „Wir wollten nicht von einem Gott erzählen, der im Himmel sitzt und Krankheiten ausstreut“, so der Regisseur. Ihm ging es damals wie heute darum, was die Katastrophe mit den Menschen macht, wie verloren der einzelne in so einer Situation ist. „Einer denkt, er kann sich mit Geld retten. Der eine verliert jede Angst, während ein anderer keinen Ausweg mehr sieht und verzweifelt.“

Dieses Zweifeln an Gott in schwierigen Situationen, das Stückl thematisiert, hat ihm viel Kritik eingebracht, als er die ersten Male in Oberammergau inszenierte. Darf man das zeigen? Ein Kreuz auf den Boden werfen? Ja, denkt Stückl. Sein Großvater erzählte ihm damals eine Geschichte von seinem Ur-Ur-Großvater, dem es die ganze Ernte verhagelte und der wütend mit dem Kruzifix aus seinem Hergottswinkel auf das Feld lief, um Jesus die Bescherung zu zeigen. „Viele Menschen verlieren ihren Glauben an Gott im Angesicht einer Katastrophe und verstehen ihn nicht mehr.“ Das Ringen der Menschen mit ihrem Gott, mit der Religion ist Stückls Thema geblieben, kein anderer Regisseur beschäftigt sich so dauerhaft, kritisch und ernsthaft immer wieder mit Glaubensfragen wie er. Stückls Auseinandersetzung ist dabei stets geprägt von einer tiefen Toleranz, seine Kritik gilt häufig der Kirche, der Religionspraxis, nie aber dem Glauben an sich.

Benedikt Geisenhof (Pfarrer), Rochus Rückel (Faistenmantl), Benedikt Fischer (Wirt), Martin Güntner (Vorsteher), Thomas Müller (Pestvogt), Ensemble

Jetzt inszeniert er zum vierten Mal „Die Pest“, die seit 1932 – erstmals vor dem 300-jährigen Jubiläum – vor den Passionsspielen gezeigt wird und erzählt, warum die Oberammergauer 1633 die Passionsspiele ins Leben riefen. Damals, mitten im 30-jährigen Krieg, brach die Pest aus. Die Oberammergauer, in 837 Meter Höhe über dem Tal, wähnten sich zunächst halbwegs sicher. Niemand durfte ins Dorf, alle Eingänge wurden bewacht, so wollten sie sich schützen vor der Epidemie. Um sich herum sahen sie die Pestfeuer brennen. Also zündeten sie zur Abschreckung selbst eines an. Alles vergebens: Der Schisler, der zwei Jahre in Eschenlohe gearbeitet hatte, schummelte sich durch die Absperrungen zurück ins Dorf, zu seiner Familie – und brachte die Pest mit. Das Stück endet mit dem Gelübde der Oberammergauer, alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Jesu aufzuführen. Seitdem starb niemand mehr im Dorf an der Pest, heißt es.

1634 fanden die ersten Passionsspiele statt. Des öfteren gab es zusätzliche Passionsspiele außerhalb des 10-Jahres-Rhythmus’, nur zweimal wurde die Tradition unterbrochen: Einmal 1770, als der bayerische Kurfürst Maximilian III. alle Passionsspiele verbieten ließ, weil „das größte Geheimnis unserer Religion nun einmal nicht auf die Schaubühne gehört“. Und einmal 1940 wegen des Zweiten Weltkriegs. Wie in Weismantels Stück prophezeit, haben die Spiele das Dorf weltbekannt gemacht, ist alle zehn Jahre hier „die ganze Welt“ zu Gast.

Seit 1989 feilt Stückl immer wieder an dem Text. 1999 schrieb der Wiener Dramaturg Martin Wall einen neuen auf Basis der Vorlage, der jedoch sprachlich kompliziert war und von Stückl 2009 wiederum komplett überarbeitet wurde. Wo „Die Pest“ zuvor in der immer gleichen Inszenierung im Kleinen Theater Oberammergau zu sehen war, holte Stückl das Spiel zunächst ins Ammergauer Haus, 2009 dann ins Passionstheater. Von einer reinen Wiederaufnahme der jeweils vorangegangenen Inszenierung sieht er sich weit entfernt. Zu sehr interessiert ihn das Theater als lebendiger Prozess, als in einer Zeit an einem bestimmten Ort mit bestimmten Menschen entstehendes Projekt.

Ungefähr 100 Darsteller in Haupt- und Nebenrollen sowie Chor und Orchester werden in der diesjährigen „Pest“ auf der Bühne stehen. Stückl ist es wichtig, vor allem die Nachwuchsspieler, die in der Passion nächstes Jahr große Rollen spielen, zu besetzen. Allein die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler sorgen dafür, dass die Inszenierung keine Kopie der vorangegangenen wird. Auch die zehn Jahre Pause gewährleisten, dass Stückl jedes Mal neu anfängt: „Es ist die gleiche Geschichte, aber sie kommt immer anders daher.“

Text: Anne Fritsch
Fotos: Arno Declair

Cengiz Görür (Vitus), Barbara Schuster (Elisabeth), Jakob Maderspacher (Karl), Maximilian Stöger (Kaspar Schisler)

Die Pest
Passionstheater

Premiere Freitag, 28. Juni 2019, 20 Uhr
Weitere Vorstellungen:
Samstag, 29. Juni, 20 Uhr
Freitag, 12. Juli, 20 Uhr
Samstag, 13. Juli, 20 Uhr
Freitag, 19. Juli, 20 Uhr
Samstag, 20. Juli, 20 Uhr
Freitag, 02. August, 20 Uhr
Samstag, 03. August, 20 Uhr

Karten unter www.passionstheater.de/spielplan/die-pest oder Tel. 08822 9458888.

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