23.01.2020

Eine Lebensaufgabe

CHRISTIAN STÜCKL, MARKUS ZWINK UND STEFAN HAGENEIER IM GESPRÄCH ÜBER THEATER UND RELIGION, ZEITGEIST UND BEDEUTUNGSWANDEL

Der Spielleiter Christian Stückl, der Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier, der Musikalische Leiter und Dirigent Markus Zwink: Gemeinsam haben sie zur Jahrtausendwende Passionsgeschichte  geschrieben. Mit einem neuen Blick auf das alte Spiel gehen sie nun auch ihre dritte gemeinsame Passionsspiel-Inszenierung an, mit der sie 2020 eine Brücke ins Heute schlagen möchten.

Stefan Hageneier, Markus Zwink, Christian Stückl (Foto: Gabriela Neeb)

Ist es Last oder Segen, die gleiche Geschichte im Abstand von zehn Jahren immer wieder erneut zu inszenieren, zu orchestrieren und auszustatten?

Christian Stückl (CS): Ich finde das total spannend. Dadurch hat man die Möglichkeit, noch mal ganz neu auf die Geschichte draufzuschauen. Das Lesen der Bibel spiegelt sich immer an der jetzigen Zeit. Man fängt neu zu schreiben an und denkt, was ist jetzt das Wichtige, auf was legst du jetzt die Konzentration. Zum Beispiel die ganze Situation mit den Flüchtlingen, wie wir miteinander umgehen, was Religionsfreiheit bedeutet – das hat sich total verändert. Du wirst also mit der Geschichte nie fertig.

Stefan Hageneier (SH): Als wir angefangen haben, 2008 ... das war einfach eine komplett andere Welt als die, in der wir jetzt leben. Es ist unfassbar, was in dieser Dekade passiert ist. Auch ganz trivial: Heute whatsappt man sich die Fotos von Stoffen in Indien einfach hin und her – ohne Reise. Aber natürlich spielt auch mit rein, dass man älter wird und andere Bilder sieht.

Markus Zwink (MZ): Die Geschichte interessiert einen, wenn man etwas verändern kann. Viele der Musiknummern sind den Oberammergauern allerdings ans Herz gewachsen.

SH: Es ist wie eine Fortsetzungsgeschichte. Man erfindet es ja nicht komplett neu – insofern ist man da am Dauer-Nachdenken und im Dauer-Gespräch miteinander.

Gibt es etwas, das man verändern sollte oder sogar muss?

MZ: Neu 2010 war das Singen des „Sch’ma Israel“ bei der Tempelvertreibung. Unsere Intention war, den Jesus auch in seiner jüdischen Umgebung zu verorten und den Leuten klarzumachen, er war nicht der erste Christ, sondern einfach Kind seiner Zeit, seines Landes und Umfelds. Die Farbe der hebräischen Sprache bringt eine neue Stimmung ins Spiel, und ich könnte mir vorstellen, dass so etwas noch einmal, in irgendeiner anderen Form, darin Platz hätte.

SH: Für mich war der Ansatz von 2010, das Spiel aus diesen steinernen Mauern, aus dem  Sandalentheater von Oberammergau“ herauszuholen und mit Poesie, Farbe und Bildkraft neu zu erfinden. Jetzt werden inhaltliche Punkte wieder stärker: Die Israeliten im Alten Testament gehen durch alle  „Lebenden Bilder“ als Geflüchtete. Durch dieses zentrale Motiv wirkt die Geschichte wieder total gegenwärtig.

CS: Seit 1990 sind immer wieder Bilder weggefallen. Viele waren ja angelegt, das Judentum zu diskreditieren. Aber Antisemitismus darf in unserem Spiel nicht mehr vorkommen.

 

Diese „Lebenden Bilder“ mit Szenen aus dem Alten Testament haben sich seit dem Barock im Passionsspiel erhalten – warum?

CS: Es sind Bilder, die im Leben Jesu Relevanz haben. Jesus ist mit diesen hebräischen Bildern groß geworden, sie sind ja für ihn nicht das Alte Testament, sondern sein Testament, aus dem heraus er agiert. Zum Beispiel der Moment am Ölberg, wo Jesus Angst hat – in den Bildern wird er zu Moses, der vor dem brennenden Dornbusch von Gott aufgefordert wird, sein Volk aus der Knechtschaft herauszuführen, und der dann sagt, die Aufgabe ist zu groß für mich. Für uns ist die Triebfeder nicht, zu zeigen: So sind die Juden, sondern: Gott wirkt immer wieder. Die Musik hebt das Ganze noch mal auf eine andere Ebene, so dass man das Gefühl hat, da gibt es etwas Größeres, einen größeren Rahmen.

 

Braucht man denn Glauben oder Gläubigkeit, um die Passion auf die Bühne zu bringen?

CS: Wenn ich den Glauben und die Überzeugung nicht hätt, dass hinter dieser Geschichte, hinter diesem Jesus eine gewisse Kraft steckt, dann könnte ich’s nicht erzählen. Dann bräuchte ich’s nicht erzählen.

SH: Trotzdem ist die säkulare Sicht wichtig – dass man überhaupt versuchen kann, so spielerisch damit umzugehen.

CS: Traditionen haben sich ja immer nur ergeben aus irgendwas, die muss man auch wieder aufreißen können.

 

Gibt es so etwas wie eine Botschaft der Passionsspiele Oberammergau an die Welt? Hat sich diese Bedeutung gewandelt?

CS: Natürlich hat man das Gefühl, man möchte die Leute mit dem, was man macht, in irgendeiner Weise erreichen. Trotzdem, glaube ich, hat sich das durch die Zeiten gewandelt. Noch vor hundert Jahren war das Passionsspiel Propagandamittel der Kirche. Es wurde vom Pfarrer geschrieben, vom Pfarrer inszeniert, selbst der Künstler, der die erste Bühne auf dem Friedhof gebaut hat, war ein junger Pfarrer. Die haben das ganz klar mit einem Missionierungsgedanken auf die Bühne gebracht. Für mich ist es eher so, dass man versucht zu schauen: Wie kann man die Geschichte heute erzählen, was ist relevant für uns?

MZ: Ich empfinde das schon als in irgendeiner Form missionarisch. Es ist so ein Ringen um das, was dahintersteckt: Ich will wirklich etwas transportieren.

SH: Schon allein kulturell ist es ein reicher Schatz. Meine Kinder haben zum Beispiel in der Schule keinen Kommunionsunterricht mehr. Ich mach das eigeninitiativ, unbedingt, aber eigentlich nicht aus religiösem Interesse, erstmal, sondern um unseren kulturellen Zusammenhang herzustellen. Das ist etwas, was man schon bewahren will.

CS: Alles hat damit zu tun. Ob du Shakespeare liest, Büchner, selbst bei Werner Schwab ... überall steckt unsere Religion drin, in jedem einzelnen Text! Das ist aber zum Teil total verschüttet. Ich merk in vielen Momenten, auch bei jüngeren Schauspielern, dass da etwas verlorengeht: dass es etwas gibt, das wie eine große Klammer für uns alle funktionieren könnte.

SH: Ja, bis hin zum Guckkasten und zum Barocktheater, was ja aufgebaut ist wie ein christliches Weltbild... Das kann ich meinen Studenten schon gar nicht mehr erklären, weil es am grundsätzlichen Wissen fehlt.

 

Was können die Passionsspiele dem entgegensetzen?

CS: Alles, was wir machen, wir drei, kann nur funktionieren, wenn jemand eine starke Bildsprache hat, wenn die Musik eine starke Kraft hat und wenn das Ganze in ein gutes Zusammenspiel mit dem Text geht – nur dann erreichst du die Menschen wirklich. So ein Passionsspiel ist nicht eine Inszenierung von einem, alle Sinne müssen angesprochen werden. Im Barock wurden sogar die Gerüche noch mit einbezogen – das war der Versuch, den Menschen ganzheitlich zu erfassen. Und ich glaub, daraus entsteht Theater.

 

Ein heutiges Theater?

CS: Manche Leute glauben, das Oberammergauer Theater ist von vorgestern. Das ist ein großes Missverständnis. Wir erzählen eine Geschichte von heute. Und die ist auch total wichtig zu erzählen. Heute wird Glaube wieder relevant, plötzlich streiten wir wieder darum, plötzlich entstehen wieder Antisemitismus oder Anti-Islam oder Anti-Christentum ...

SH: Wir sind uns sehr bewusst, mit was wir da umgehen. Dieses Monument, das alle zehn Jahre wieder auftaucht, misst sich an heute, aber man gibt es nicht so leicht dem Zeitgeist preis.

MZ: Immer wieder wichtig zu sagen finde ich: Die Geschichte, aus der Sicht des Evangelisten Matthäus geschrieben, kann man sehr leicht falsch verstehen. Und wir wollen einfach nicht falsch verstanden werden. Da muss man alle Möglichkeiten ausschöpfen, dass sich da nicht, gerade in der heutigen Zeit, mancher bestätigt fühlt, von dem wir das gar nicht wollen.

 

Und die Zukunft? Würden Sie die Arbeit an der Passion als eine Lebensaufgabe beschreiben?

CS: Ich glaub, letztlich ist es für uns schon auch so eine Art Lebensaufgabe geworden. Es gehört irgendwie zu uns dazu. Auch wenn jeder von uns einen ganz anderen Ansatzpunkt sieht.

SH: Also ich bin verabredet mit meinem Stoffhändler in Indien für 2029!

MZ: Ich sehe mich eher im zweiten Glied fürs nächste Mal. Ich hab’s jetzt viermal gemacht, da muss man auch rechtzeitig mal daran denken, dass man so etwas abgibt ...

CS: Wir haben keine Schwierigkeiten mit Nachwuchs – ich glaub, dass das immer noch soviel Kraft hat, dass auch die nächste Generation totales Interesse daran hat, das merk ich an der Zahl der Mitwirkenden. Aber was die Zukunft bringt, da halt ich mich an meinen alten Spruch: Über was lacht Gott – über Planung!

Interview: Teresa Grenzmann

Foto: Gabriela Neeb

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