31.03.2021

Die große Welt der Bühne ganz klein

EINE AUSSTELLUNG IM OBERAMMERGAU MUSEUM ZEIGT BÜHNENBILDMODELLE VERGANGENER PASSIONSSPIELE UND DER ROSNER-PROBE

Steigt man die Treppen zum Ausstellungsraum unter dem Dach hinauf, fühlt man sich in eine Miniaturwunderwelt versetzt. 43 Bühnenbildmodelle vermitteln eindrücklich das Bühnengeschehen und den Szenenaufbau der jeweiligen Passionsspiele.

Kann man im Vorraum noch die Entwicklung des Bühnenhauses selbst an Modellen von Nicolaus Unhoch (1820), Carl Lautenschläger (1890) und Raimund und Johann Georg Lang (1930) nachverfolgen, so beeindruckt der große Ausstellungsraum mit einer Auswahl von 40 Modellen der Passionsspiele 2000 und 2010 sowie der Rosner-Probe von 1977.

Nachbau des Bühnenmodells von Nicolaus Unhoch (1820) (Foto: Oberammergau Museum)

Bühnenmodell von Carl Lautenschläger (1890) (Foto: Oberammergau Museum)

Bühnenmodell von Georg Johann Lang (1930) (Foto: Oberammergau Museum)

Annas-Kostüm von 2000 und Schlange der Rosner-Probe von 1977 (Foto: Jenny Greza)

Die Rosner-Probe stellte den Versuch dar, die barocke Spielvorlage des Benediktinerpaters Ferdinand Rosner in einer neu bearbeiteten, modernen Form als Alternative zu der Daisenberger-Passion auf die Bühne zu bringen. Dieser Reformprobe waren jahrzehntelange Diskussionen um die Textproblematik vorausgegangen. Im wesentlichen Unterschied zu Daisenberger spielen im Rosner-Text allegorische Figuren eine entscheidende Rolle. Luzifer und die höllischen Geister sind Sinnbilder und Personifikationen der menschlichen Laster, die schließlich den Kreuzestod Christi zu verantworten haben. In der Ausstellung werden einige Masken der Teufelsschar sowie das Kostüm der Schlange gezeigt.

Die Gemeinde beauftragte 1975 den bekannten Oberammergauer Künstler und langjährigen Schnitzschuldirektor Hans Schwaighofer mit einer Aufführung auf Basis des Rosner-Textes von 1750, die sogenannte „Rosner Probe“ zu inszenieren. Der Künstler hatte in langjährigen Vorarbeiten die Grundlagen für die Inszenierung geschaffen. Hans Schwaighofer war für Bühnenbild und Regie verantwortlich, er entwarf alle Bühnenbilder, Masken und Kostüme selbst. Alois Fink bearbeitete den Text Rosners und der Komponist Wolfgang Fortner schuf die Musik aus Vorlagen des Zeitgenossen Rosners, Franz Xaver Richter und eigenen Kompositionen. Besonders beeindruckend ist der Detailreichtum, mit dem Schwaighofer und seine Schnitzschülerinnen und -schüler jede einzelne Figur gestalteten und den individuellen Ausdruck, den sie den Figuren verliehen. Man hat das Gefühl, in eine lebendige Szene eintauchen zu können, so plastisch und nahbar ist die Darstellung. Schwaighofer bildete beinahe alle Szenen in Modellen nach, da es ja galt, die Bürgerinnen und Bürger und den Gemeinderat von Oberammergau von seiner radikalen Neuinszenierung zu überzeugen.

1977 wurde das Rosner-Spiel nach siebenmonatigen Proben mit etwa 700 engagierten Mitwirkenden achtmal aufgeführt. Von Publikum und Kritik wurde die „Prob“ sehr positiv aufgenommen. Bei einer anschließenden Bürgerbefragung entschied sich allerdings die Mehrheit dagegen, die Rosner-Inszenierung für das Spieljahr 1980 zu übernehmen. Der Gemeinderat beschloss schließlich für das Spieljahr 1980 die Beibehaltung des Daisenberger-Textes. Dennoch waren Schwaighofer und sein Team die entscheidenden Impulsgeber für die Erneuerung der Passionsspiele.

Aufnahme aus der Rosner-Probe von 1977 (Foto: Gemeindearchiv Oberammergau)

Bühnenbildmodell des Einzugs in Jerusalem aus der Rosner-Probe (Foto: Jenny Greza)

Detail des Einzugs in Jerusalem (Foto: Jenny Greza)

Kaiphas-Kostüm der Passionsspiele 2000 nach einem Entwurf von Stefan Hageneier (Foto: Jenny Greza)

Nach seiner ersten Spielleitung 1990 wurde Christian Stückl durch einen Bürgerentscheid erneut zum Spielleiter für die Passion 2000 ernannt. Erst jetzt, mit der Unterstützung der großen Mehrheit der Oberammergauer Bürger und Bürgerinnen, konnte er wirklich beginnen, das Spiel zu reformieren, zu modernisieren und in die heutige zu Zeit führen. Es kam zur größten Text-Reform seit 1860. Christian Stückl und Otto Huber als dramaturgischer Leiter legten das Passionsspiel als innerjüdischen Konflikt an: Fürsprecher und Widersacher finden sich innerhalb des Hohen Rats, im einfachen Volk, im engen Kreis der Getreuen, also auf allen gesellschaftlichen Ebenen und nicht in verfeindeten Lagern. Stückl und Huber ging es vor allem darum, der Figur des Jesus eine größere Individualität und mehr Raum zu geben. Es galt, Jesus nicht auf sein Leid zu beschränken, sondern ihn vielmehr als starken Kämpfer für seinen jüdischen Glauben darzustellen. Diese Neuerungen sollten sich auch in einem komplett neuen Bühnen- und Kostümbild widerspiegeln: „Seit März 1999 [entstanden] annähernd 2000 neue Kostüme und 28 Szenenbilder, die der Oberammergauer Bühnenbildner Stefan Hageneier entworfen hat. Viele der prächtigen Stoffe [] wurden in Indien gekauft, die Waffen und Rüstungsteile der Soldaten von einem Oberammergauer Kunstschmied angefertigt. Über 600 Kostüme maßgefertigt, Stoffe gefärbt, Federn geklebt. Schneiderinnen, Schreiner, Bühnenmaler, Bildhauer und Beleuchter arbeiteten gemeinsam – erstmals seit 70 Jahren – an einem neuen Gewand für das Passionsspiel 2000.“

Kaiphas im Bühnenbildmodell der Passionsspiele 2000 (Foto: Oberammergau Museum)

Bühnenbildmodell des Lebenden Bildes "Tanz um das Goldene Kalb" von 2000 (Foto: Oberammergau Museum)

Bühnenbildmodell des Lebenden Bildes "Moses führt die Israeliten durch das Rote Meer" der Passionsspiele 2010 von Stefan Hageneier (Foto: Oberammergau Museum)

In eindrucksvoller Erinnerung blieben den Besuchern der Passionsspiele 2010 die von Stefan Hageneier in ihrer starken Farbigkeit ikonographisch völlig neu interpretierten Lebenden Bilder, die die meist monochromen Spielszenen stark kontrastierten. In der Ausstellung sind alle 13 Modelle zu sehen.

 

Die Ausstellung „Bühnenform und Bühnenbild der Passionsspiele“ ist voraussichtlich ab dem 6. April bis 7. November 2021 im Oberammergau Museum zu sehen. Mehr Informationen zu Preisen und Öffnungszeiten erhalten Sie auf www.oberammergaumuseum.de. Bitte beachten Sie die inzidenzabhängige Öffnung des Museums. Über den aktuellen Stand informiert das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen unter www.lra-gap.de.

Text: Constanze Werner und Jenny Greza
Fotos: Oberammergau Museum, Gemeindearchiv Oberammergau und Jenny Greza

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