DIE PASSIONSSPIELE 2020 MÜSSEN UM ZWEI JAHRE VERSCHOBEN WERDEN
Am 19. März wurde Gewissheit, was nicht wenige schon länger geahnt oder befürchtet hatten: Spielleiter Christian Stückl musste verkünden, dass die Passionsspiele 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden können, dass sie verschoben werden müssen auf 2022. Seit über einem Jahr liefen die Vorbereitungen für die Premiere, die am 16. Mai stattfinden sollte. Das ganze Dorf war im Ausnahmezustand, es wurde geprobt, renoviert, geplant. An die 500 000 Gäste wären in den Sommermonaten nach Oberammergau gekommen, um die Passion zu sehen.
Spielleiter Christian Stückl bei der Pressekonferenz zur Verschiebung (Foto: Sebastian Schulte)
Nun, einen Monat danach, ist Oberammergau wie ganz Bayern, ganz Deutschland und fast die ganze Welt zum Stillstand gekommen. Statt zu proben, gibt Christian Stückl jetzt Interviews, betreibt die „Rückabwicklung“ seiner Spiele. Er klingt leiser als sonst am Telefon, ausgebremst. Dass alles nicht laufen kann wie geplant, wurde ihm Anfang März bewusst. „Da hatte ich eine große Probe mit 400 Leuten“, erinnert er sich. „Und da wurde mir ziemlich heftig klar, dass ich zu viele alte Leute auf der Bühne habe, dass das gefährlich ist.“ Am nächsten Tag rief er den Bürgermeister an, sagte, dass er eine Gemeinderatssitzung bräuchte, um zu besprechen, wie es weitergehen soll. „Wir haben bis zu 1000 Leute auf der Bühne und über 4000 im Zuschauerraum. Da brauchten wir einfach eine Einschätzung vom Landrat und dem Gesundheitsamt“, so Stückl. Er sagte die Proben erstmal ab.
Bis zwei Tage vor der Entscheidung setzte er zwar noch „Durchhalteparolen“ in die Welt, ahnte aber bereits, dass das Risiko zu groß sei. „Auch meine Hauptdarsteller haben nicht mehr richtig daran geglaubt, ich habe einige Tränen gesehen. Als die Absage dann kam, hat es mich trotzdem emotional total erwischt“, sagt Stückl. Bevor er den Bescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen an die Presse weitergab, rief er seine Hauptdarsteller nochmal zusammen. Es kamen nur wenige. Vielleicht war die Enttäuschung zu groß. Schließlich liefen die Vorbereitungen für die Spiele seit fast zwei Jahren. Die Haare und Bärte wuchsen seit über einem Jahr. Studierende nahmen ein Freisemester, um mitspielen zu können, Berufstätige nahmen unbezahlten Urlaub. In Oberammergau passt man die eigene Biographie dem Zehn-Jahres-Rhythmus der Passionsspiele an. Da ist nun einiges durcheinander geraten.
„Aber so kann man nicht Theater machen, unter diesen Umständen. Da kann man nicht sprachlich genau sein und an Szenen feilen“, erklärt Stückl. „Letztlich waren wir uns alle einig, dass es traurig ist, aber auch eine Befreiung nach dem Hin und Her.“ Kurz wurde diskutiert, ob die Spiele 2021 nachgeholt werden, aber zum einen müssen ja erstmal hunderttausende Karten rückabgewickelt werden, zum anderen weiß heute niemand genau, wann sich die Situation weltweit wieder normalisiert habe. Da war 2022 einfach realistischer.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Passionsspiele ausfallen. 1770 ließ Kurfürst Maximilian III. alle Passionsspiele verbieten, da „das größte Geheimnis unserer heiligen Religion nun einmal nicht auf die Schaubühne gehört“. 1780 erhält Oberammergau das alleinige Privileg, die Passion aufzuführen. Doch 1810 werden die Spiele im Zuge der Säkularisierung erneut untersagt, dieses Verbot bleibt allerdings nur ein Jahr gültig und war das letzte seiner Art. Danach waren es die Kriege, die den Spielen Probleme machten: 1870 wurde bei der dritten Vorstellung im Prolog der Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Frankreich verkündet: Da einige Darsteller in den Krieg ziehen mussten, wurden die Spiele erst 1871 wieder aufgenommen. Die Spiele 1920 wurden bereits 1918 aufgrund der vielen Toten und Verwundeten im Ersten Weltkrieg auf 1922 verschoben, 1940 dann machte der Zweite Weltkrieg die Spiele unmöglich.
Kurfürst Maximilian III.
Und nun wird also auch 2020 in die Reihe der abgesagten Passionsspiele eingehen. Diesmal ist der Grund eine neue Pandemie. Nicht die Pest, aus der die Spiele einst hervorgingen, sondern der Conora-Virus. Doch die Oberammergauer werden auch diesmal weitermachen. Allerdings muss dann nochmal richtig neu geprobt werden, zwei Jahre sind schließlich eine lange Zeit. Die Besetzung aber möchte Stückl, wenn es irgendwie möglich ist, beibehalten. „Ich hoffe sehr, dass alle wieder dabei sind“, sagt er. „Schau ma mal, wo’s hinläuft.“
Text: Anne Fritsch
Foto: Sebastian Schulte