28.01.2022

Aus Fremdheit Nähe schaffen

IN DER MUSIK ERZÄHLT MARKUS ZWINK DIE PASSIONSGESCHICHTE ÜBER DAS GEFÜHL

Der Musikalische Leiter Markus Zwink bei einer Chorprobe für die Passionsspiele (Foto: Sebastian Schulte)

„Die Musik soll das Spiel voranbringen“ – das ist in seiner Werkstatt oberstes Gebot. Seit vier Passionsspieldekaden ist Markus Zwink Musikalischer Leiter und Dirigent. Immer öfter hat er in dieser Zeit als Komponist gewirkt; wenn Not am Text ist, ersetzt er für 2022 erstmals auch den Librettisten. Das war nicht immer so: „Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich 1990 eine Überleitung in einer Musiknummer neu geschrieben habe. Acht Takte nur, aber ich hab richtig Skrupel gehabt, das war alles so heilig und so vorgegeben und so bestimmt.“ Doch eine Veränderung muss her – das steht für ihn bereits zehn Jahre vorher fest. Beim Spiel von 1980 ist Markus Zwink Bass-Solist, Christian Stückl singt im Chor – „und wir haben beide gedacht, dass das so eigentlich nicht weitergehen kann, weil’s gefühlt einfach eine Wiederholung von 1970, 1960, 1950 war“. Sechs Jahre später dann die „fast erdrutschartige Wende“ – und endlich die Möglichkeit, selbst tätig zu werden.

Zwinks vorsichtiger Befreiungsschlag folgt dennoch erst zur Passion 2000: „Da hatte ich das Gefühl, okay, jetzt probier ich’s mal selber und vielleicht kann ich’s ... mindestens genauso gut wie der Dedler.“ Der nämlich war vor über 200 Jahren in Oberammergau Lehrer und komponierte bereits 1811 Rezitative, Arien und Chöre, um die „Lebenden Bilder“ zu begleiten. Mit den Textänderungen von 1815 schuf Rochus Dedler noch einmal eine ganz neue Passionsspielmusik. An deren Klangbild lehnt Zwink sich nun an. Er erweitert das harmonische Spektrum noch und bezieht auch die architektonischen Besonderheiten der großen Passionsbühne mit ein in sein kompositorisches Konzept. Für die Passion 2010 erschafft er durch Chorpassagen in hebräischer Sprache ein neues, kraftvolles Spannungsmoment, durch bestimmte Akkordzusammensetzungen orientalische Klänge. In diese Richtung hat der Musikalische Leiter auch für 2020/22 weitergedacht. „Es ist ein ständiges Dran-Arbeiten.“

Die Tendenz, hebräische Texte in den Gesang zu integrieren, soll noch verstärkt werden, denn das vermeintlich Fremde rührt an, verbindet, öffnet. „Gerade die alttestamentarischen Stücke vermitteln sich ja oft nicht übers Hirn, sondern übers Gefühl: Die Zuschauer merken, dass die in der Geschichte speziell auf ein Volk zugeschnittenen Themen eigentlich Themen sind, die in irgendeiner anderen Form auf der ganzen Welt passieren können.“

Nur wenige Mitglieder des Passionschors haben für 2022 abgesagt, weil sie sich beruflich verändert oder ihr Studium begonnen haben. Im Juli 2021 gab es ein Vorsingen, „um auch den Jugendlichen, die nun, nach zwei Jahren, entwicklungsmäßig so weit sind, eine Chance zu geben“. Die Musik erzählt die Passionsgeschichte mit – dieses faszinierende Gefühl werden in den kommenden Wochen sowohl die neuen als auch die etablierten Sänger und Instrumentalisten erfahren. Aktuell probt Zwink mit den Neulingen in kleinen Gruppen. „Unsere jugendlichen Sängerinnen und Sänger sind Laien, die mit der Passionsmusik vertraut gemacht werden müssen, nahezu anderthalb Stunden Chormusik müssen auswendig und souverän präsentiert werden. Dies erfordert für jeden Chorsänger und Chorsängerin einen gehörigen zeitlichen Vorlauf.“ Die erfahrenen Solistinnen und Solisten haben zusätzlich die Passionsmusik für Übungsvideos eingesungen, so dass sich alle auch zuhause gut vorbereiten und an schwierigen Passagen feilen können.

Text: Teresa Grenzmann

Foto: Sebastian Schulte

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