PETER STÜCKL UND DAVID BENDER HABEN HAUPTROLLEN IN OBERAMMERGAU. DER EINE SPIELT ZUM ZEHNTEN MAL BEI DEN PASSIONSSPIELEN MIT, DER ANDERE ZUM ERSTEN MAL.
David Bender (Foto: Gabriela Neeb)
Zur Vorstellung gab es immer ein paar Wiener mit Senf vom Opa. Daran erinnert sich Peter Stückl auch 70 Jahre später: „Das war so ein Erlebnis, die schmeck ich noch heute.“ Heute ist er selbst Opa, 2020 spielt er zum zehnten Mal mit bei den Passionsspielen. 1950 war er das erste Mal dabei, als siebenjähriger Bub. Die Schulkinder wurden von der Lehrerin in Zweierreihen zum Einzug des Volkes geführt, der damals vormittags stattfand. Da gab’s dann die Wiener vom Opa – und ein spannendes Theatergebäude zum Erkunden. Auf dem Rückweg in die Schule waren meist nur noch die Mädchen dabei, erinnert sich Stückl lachend: „Die Buben waren in dem großen Theater nicht mehr aufzufinden.“
Seitdem war er jedes Mal dabei. 1960 war er der jüngste Bass im Chor. In dem Jahr lernte er seine Frau kennen und lieben: „Wir sind seit dem ersten Tag beinander, bis heute.“ Danach spielte er fast immer große Sprechrollen, mehrmals den Judas und den Kaiphas. Sieben reguläre Spiele, die Rosner-Probe 1977 und das Spiel zum 350. Jubiläum 1984 – sein Leben gliedert Stückl wie viele in Oberammergau in Passionsjahre und Zwischenjahre. 1970 hatte er schon seine drei Kinder, 1990 übernahm der Älteste, Christian, die Spielleitung. „2010 war ich dann der Annas, so schnell ist man der Alte“, sagt Stückl und lacht.
Peter Stückl (Foto: Gabriela Neeb)
David Bender ist der jüngste Hauptdarsteller der diesjährigen Passionsspiele. Am 13. Mai ist seine letzte Abiprüfung, am 16. Mai die Premiere. Aber er ist zuversichtlich: „Da die Proben meist abends sind, lässt es sich gut mit der Schule vereinbaren“, hofft Bender. „Aber am Ende wird’s schon stressig werden.“ Für ihn ist es das allererste Mal, dass er Theater spielt. Seine Mutter ist alteingesessene Oberammergauerin. Da er mit seinen Eltern aber einige Jahre in Ulm gewohnt hat, war er 2010 nicht aktiv dabei. Einmal hat seine Oma ihn mit auf die Bühne genommen: „Ich bin an ihrer Hand im Volk mitgegangen“, erinnert er sich. „Ich war fasziniert, habe aber von der Aufführung nicht viel mitbekommen.“ Dieses Mal ist er zum Vorsprechen gegangen, zu dem Christian Stückl und sein zweiter Spielleiter Abdullah Kenan Karaca die Jugendlichen im Dorf eingeladen haben. Erfolgreich: Bender spielt den Engel, eine Rolle, die 1970 sein Opa hatte.
Das gemeinsame Spiel verbindet die Oberammergauer, die Alten und die Jungen. „Seit 1990, seit die Frauen auch über 35 Jahre mitspielen dürfen, kommen wirklich die Generationen zusammen“, so Stückl. „Vorher gab es alte Männer, aber nur junge Frauen. Zum Volk gehören aber alle: Kinder, Junge und Alte, Frauen und Männer.“ Alle zehn Jahre spielen sie gemeinsam die Passion Christi, denken gemeinsam nach über Jesus und seine Botschaft. Über die Jahrhunderte ist Oberammergau so zu einem Dorf der Theaterbegeisterten geworden, bei einigen ist aus der Passion ein Beruf geworden: Stefan Hageneier ist Bühnen- und Kostümbildner, Christian Stückl Regisseur und Intendant des Münchner Volkstheaters. Peter Stückl ist stolz auf seinen Sohn, auf das, was der aus den Passionsspielen gemacht hat. Dass er die antisemitischen Texte, die Peter Stückl selbst noch auf der Bühne gesprochen hat, ausgemerzt und die Spiele künstlerisch erneuert hat: „Natürlich haben viele gesagt: Sind die größenwahnsinnig geworden? Kann man nicht mal mehr die alten Kostüme nehmen? Aber nur so geht es. Wenn man nicht immer dran arbeitet, ist es gleich ein alter Hut.“
Woher Christian Stückl seinen kritischen Geist hat, wird schnell klar, wenn man seinen Vater über die Scheinheiligkeit der Kirche schimpfen hört und über die Ausgrenzung von Andersgläubigen. „Im Prinzip geht es ja allen ums gleiche“, so Peter Stückl. „Du sollst ein anständiges Leben führen. Ich finde es so schön, wenn jetzt die Flüchtlingskinder mitspielen und einfach alle zusammen sind.“ Die Rückkehr zu den Kernbotschaften des Christentums weiß auch David Bender zu schätzen: „Was die Priester in der Kirche predigen, damit können wir Jugendlichen uns eher nicht identifizieren“, sagt er. „Aber durch die Passion fühle ich mich dem Ganzen wieder näher, den grundsätzlichen Fragen.“
Im Idealfall geht es bei der Passion ja um die Menschen und ihr Zusammenleben. „In Oberammergau wächst man da von klein auf rein“, so Stückl. „Wir haben schon als Kinder unsere eigenen Passionsspiele gemacht, ein Kreuz gebastelt, ich war der Jesus.“ Den Text konnte er mit sieben auswendig. „Der sitzt immer noch“, lacht er und gibt eine Kostprobe. Jahre später sprach ihn einmal eine eine hübsche Frau an: „Ja, Peter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich war doch deine Maria!“
Anne Fritsch