26.10.2020

Der dramatische Moment

DAS OBERAMMERGAU MUSEUM STELLT FOTOGRAFIEN DER PASSIONSSPIELE AUS 170 JAHREN AUS

Jesus-Darsteller Tobias Flunger, 1850 (Foto: Gemeinde Oberammergau Archiv)

Ein heller Raum im Oberammergau Museum , über eine Holztreppe erreichbar. Der Blick schweift umher und versucht alles auf einmal aufzunehmen. Unmöglich. Zahlreiche Gesichter, teils schwarz-weiß, teils in Farbe, sehen einen an. Fotografien aus 170 Jahren Passionsgeschichte erstrecken sich rund um den Raum, dazu in der Raummitte vier weitere große Aufsteller, je ein Bild auf der Vorder- und der Rückseite platziert. Dahinter, etwas versteckt, der Abendmahlstisch, die älteste Requisite der Passionsspiele in Oberammergau.

Die älteste Fotografie der Passionsspiele zeigt den Christusdarsteller Tobias Flunger 1850 beim Einzug in Jerusalem. Schwarz-weiß, die Umrisse leicht verschwommen. Eine Zeitreise der anderen Art. Neben den offiziellen Bildbänden der Jahre 1922 bis 2010 finden sich in Vitrinen vor dem Hauptausstellungsraum Postkarten, Fotoalben und private Sammlungen von Aufnahmen aus den Oberammergauer Passionsspielen. An den Wänden Bilder der vergangenen Jahrzehnte. Die Entwicklung der Darstellung ist deutlich erkennbar. Der Wandel von weitgehend dokumentarisch wirkenden Fotografien hin zu szenischen (Nah-)Aufnahmen. Immer im Fokus jedoch die Darsteller: Man erkennt sie wieder, teilweise über mehrere Passionsspiele in der gleichen Rolle vertreten, teilweise in neuen Rollen. Einige sieht man heranwachsen, in Hauptrollen schlüpfen.

Aus dem Passionsjahr 1860 sind leider keine Fotografien erhalten, jedoch 1870 erhielten die beiden Fotografen Jacob Steigenberger (1828 - 1896) und Bernhard Johannes (1848 - 1899), das alleinige Privileg, vor Beginn der Spiele die Darsteller, einige Lebende Bilder, das Abendmahl und die Ratsszene zu fotografieren. Im Herbst 1871, nachdem die Passionsspiele wegen des deutsch-französischen Kriegs unterbrochen und wieder aufgenommen worden waren, wurde auf ausdrücklichen Wunsch von König Ludwig II. das Spiel durch seinen berühmten Hoffotografen Joseph Albert (1825 - 1886) dokumentiert. Dabei wurden 60 Fotografien, darunter alle Lebenden Bilder und die wichtigen Massenszenen aufgenommen. Sie waren zum einen für Ludwig II. privat bestimmt, zum anderen aber wurden die Bilder in verschiedenen Größen zusammen mit den Darstellerfotografien von Steigenberger und Johannes in großen Auflagen auch als Souvenirs verkauft. Das war der Beginn der kommerziellen fotografischen Erinnerungskultur um die Oberammergauer Passionsspiele. Joseph Alberts Aufnahmen gelten als wahrscheinlich erste Szenenfotos überhaupt.

Kain erschlägt Abel (Foto: Gemeinde Oberammergau Archiv / Joseph Albert)

Kaiphas-Darsteller Hugo Rutz 1922 (Foto: Gemeinde Oberammergau Archiv / Heinrich Traut)

Bis ins Jahr 1910 ähnelten sich die Fotoaufnahmen. Die Darsteller wurden in starren Posen abgelichtet und die Dramatik in großen Gesten dargestellt. Die Bilder wirken statisch. Detailliertere Szenefotografien wurden nicht aufgenommen. Erst Heinrich (Henry) Traut (1857 - 1940), der zu seiner Zeit als führender Kunstfotograf galt, distanzierte sich hiervon und schuf mit seinen Fotografien der Passionsspiele 1910 und 1922 ausdrucksstarke und emotionale Bilder voller Dynamik.

Abschied von Bethanien 1910 (Foto: Gemeinde Oberammergau Archiv / Heinrich Traut)

Vertreibung der Händler 2000 (Foto: Passionsspiele Oberammergau / Brigitte Maria Mayer)

Die umfassende Erneuerung der Passionsspiele durch Spielleiter Christian Stückl seit 1990 zeigt sich inhaltlich und formell auch bei den Fotografien für die Bildbände und Postkarten. So wurde beispielsweise die lange Tradition der Hauptdarstellerporträts seither nicht mehr weitergeführt. Die in Berlin lebende und arbeitende Performance-, Film- und Fotografie-Künstlerin Brigitte Maria Mayer (*1965) fotografierte die Passionsspiele 2000 und 2010. Für die nun im Format deutlich größeren Bildbände fand sie eine neue, starke und emotionale Bildsprache. Ihre Herangehensweise an die Fotoaufnahmen der Passionsspiele erklärte sie 2010 in einem Interview: „Ich glaube hier geht es  weniger um Interpretation, sondern vielmehr darum, eine künstlerische Form in eine andere zu transportieren, performatives Theater in inszenierte Fotografie - einen Bildband zu produzieren, der für sich steht und über die bloße Dokumentation hinausgeht.“

2020 mussten die bereits begonnenen Fotoaufnahmen durch die bekannte isländische Fotografin und Kamerafrau Birgit Gudjonsdóttir (*1962) wegen der pandemiebedingten Absage der Passionsspiele abgebrochen werden. Eine Auswahl der bereits entstanden Bilder ist in der Ausstellung zu sehen. 2022 wird sie ihre Arbeit am Bildband für die Passionsspiele fortsetzen.

Die Sonderausstellung „Der dramatische Moment, Fotografien der Passionsspiele aus 170 Jahren“  ist noch bis Lichtmess Anfang Februar 2021 im Oberammergau Museum zu sehen.

Text: Franziska Zankl
Fotos: Gemeinde Oberammergau Archiv, Passionsspiele Oberammergau

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