11.11.2020

Ein Raum für die Ewigkeit

DAS PASSIONSTHEATER OBERAMMERGAU STEHT SEIT OKTOBER UNTER DENKMALSCHUTZ

So könnte die Bühne auf dem Friedhof ausgesehen haben (Gemeindearchiv Oberammergau)

Bau des Auditoriums 1898 bis 1900 (Foto: Gemeindearchiv Oberammergau)

Theater spielen die Oberammergauer seit fast 400 Jahren. Das Passionstheater in seiner heutigen Form aber ist sehr viel neuer. Zunächst fanden die Spiele auf provisorischen Bühnen statt, die alle zehn Jahre auf dem Friedhof errichtet wurden – im Gedenken an die Toten der Pest, mit der 1634 alles begonnen hatte. Seit 1830 wurde dann auf der Passionswiese im Norden des Ortes gespielt: König Ludwig I. hatte die Durchführung der Spiele nur erlaubt, wenn sie nicht mehr auf dem Friedhof stattfänden. Die Zuschauer saßen auf Holztribünen im Freien, bis der Münchner Hoftheateringenieur Max Schmucker 1898 ein festes Zuschauerhaus entwarf: eine Gerüstkonstruktion mit sechs filigranen Stahlbögen, auf der die aus Holz gebaute Halle ruht. Diese ist nach vorne zur Freilichtbühne hin offen.

Im Oktober nun wurde das Passionstheater unter Denkmalschutz gestellt. „Schützenswert ist das Bauwerk aufgrund seiner besonderen Konstruktion und Gestaltung, der seltenen Technik im Bühnenhaus und seiner hohen geschichtlichen Bedeutung für das Volks- und Laientheater“, heißt es in der Pressemitteilung des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege. Und: „Nachdem die Oberammergauer Passionsspiele bereits zum immateriellen UNESCO Kulturerbe gehören, würdigt der Eintrag des Theaterbaus in die Denkmalliste nun auch ihr bauliches, ihr materielles Erbe.“ Die filigranen Stahlkonstruktionen zeugen von hoher Ingenieurskunst, meint auch der Technische Leiter der Spiele, Carsten Lück: „Das würde man heute nicht mehr so hinkriegen.“

Freilich, seit seiner Einweihung befindet sich das Theater in einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung. Die Geschichte des Theaters ist eine Geschichte der Umbauten. Alle zehn Jahre wurde es auf den aktuellen Stand der Technik gebracht und den Bedürfnissen der Zeit angepasst. 1922 wurde beispielsweise ein Atelier für Fotoaufnahmen an die Rückseite des Garderobenbaus angefügt. 1980 baute man hinten auf die Bühne ein riesiges Hubpodest, das für die Ölberg-Szene wie aus dem Nichts hochfuhr. Da es seitdem nicht mehr verwendet wurde und viel dringend benötigten Platz beanspruchte, wurde es zur jetzigen Passion ausgebaut. 2010 ergänzte man Beleuchtungsbrücken, da die Verlegung des Spiels in die Abendstunden eine künstliche Beleuchtung notwendig machte. Für die kommende Saison brachte man einen Schallschutz im hinteren Zuschauerraum ein, der die neue elektroakustische Beschallung unterstützen soll. All das geschah schon vor dem offiziellen Denkmalschutzbescheid mit großer Sorgfalt: „Wir haben immer darauf geachtet, so dezent wie möglich vorzugehen“, so Lück.

Unter Denkmalschutz steht nun der momentane Stand. Zu dem gehört wohl auch das Bühnenbild von Stefan Hageneier. Gut, es ist kein gewöhnliches, mobiles Bühnenbild wie in einem normalen Theater. Hier in Oberammergau ist die Hauptbühne gemauert und verputzt, da ist nichts Attrappe. Insofern schon: ein Raum für die Ewigkeit. Tatsächlich wurde für die Spiele 2020/22 erstmals seit langem wieder richtig Hand an die Bühne gelegt, heißt: Es wurde nicht nur gestrichen, sondern in Form und Gestaltung eingegriffen. „Stefan Hageneier hat versucht, eine gleichmäßigere und ruhigere Linie reinzubringen“, so Lück. Die vormals runden Bögen wurden durch gerade Abschlüsse ersetzt, alles mit grauem mineralischen Putz versehen. Davor spielte man im Großen und Ganzen auf dem Bühnenaufbau von 1930. In Zukunft müssen alle Baumaßnahmen mit der Denkmalschutz-Behörde abgesprochen werden. „Das macht es etwas komplizierter“, so Lück, „heißt aber nicht, dass es keine Veränderungen mehr geben wird.“

Die umgebaute Bühne des Passionstheaters 2020 nach den Entwürfen von Stefan Hageneier (Foto: Andreas Stückl)

Im Passionstheater ist alles auf die besonderen und sich ändernden Bedürfnisse der Spiele ausgelegt. Die Oberammergauer waren immer kreativ, wenn es darum ging, das Notwendige möglich zu machen. Da gibt es einiges, was es sonst nicht gibt im Theater, zum Beispiel die Eselsrampe, über die die Theatertiere bequem auf die Bühne kommen. Damit auch die Kamele sich nicht den Kopf anstoßen, wurde der Eingang nach oben vergrößert. Der Eiserne Vorhang, der Bühne und Zuschauerraum brandschutztechnisch trennt, öffnet sich wie ein „Fischmaul“ nach oben und unten anstatt einfach hochgezogen zu werden. Letzteres ist gar nicht möglich, weil es keinen Schnürboden gibt. Platz ist hinter der Bühne ohnehin Mangelware, alles ist streng nach Logik und Ablauf organisiert. Weil der Chor so viele Auftritte hat, sind die Chorgarderoben am nächsten an der Bühne, auf der einen Seite Sopran und Alt, auf der anderen Tenor und Bass. Das Volk muss sich gestaffelt umziehen, weil der Platz in den Garderoben für alle gleichzeitig definitiv nicht ausreicht.

Das Lebende Bild "Der Tanz um das Goldene Kalb" von vorne ...

... und von hinten (Fotos: Sebastian Schulte)

Wenn ein Umbau ansteht – und das ist ob der eingeschobenen 12 Lebenden Bildern recht oft der Fall – wird der gesamte hintere Spielbereich auf Rädern weggeschoben, damit Platz frei wird für die Rahmen, in denen die Lebenden Bilder aufgebaut werden. Für all das bleibt den Bühnenarbeitern gerade zweieinhalb Minuten Zeit, bevor die Darsteller*innen in Position gehen müssen und sich der Vorhang wieder öffnet. Das ist durchaus sportlich, und hinter der Bühne geht es da mindestens so turbulent zu wie davor. Ja, es kam durchaus schon vor, dass der Chor zwar ein Lebendes Bild besang, sich der Vorhang aber nicht öffnete, weil dahinter noch Chaos herrschte, gibt Lück schmunzelnd zu. „Aber das ist die Ausnahme.“ Meist kommen die Beteiligten gut mit den Herausforderungen zurecht, die so ein Spiel mit anderthalbtausend Beteiligten mit sich bringt. Und nun also Denkmalschutz. Für das Gebäude, wohlgemerkt. Die Spiele, die darin stattfinden, erfinden sich hoffentlich auch in Zukunft alle zehn Jahre neu.

Text: Anne Fritsch
Fotos: Gemeindearchiv Oberammergau, Andreas Stückl, Sebastian Schulte

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